Willi Winterscheidt an Kaplan Stiesch, 3. September 1941

Jaroslaw, den 3.IX.1941

Lieber Herr Kaplan!

Heil und Gruss zuvor. Entschuldigen Sie bitte; dass ich Ihnen jetzt erst wieder schreibe. Die Sache wird nun ernst. Nach 5tägiger Fahrt sind wir an unserem vorläufigen Bestimmungsort gelandet. Der Abschied von daheim ist mir sehr schwer gefallen. Meine arme Mutter tut mir leid. Sie hat so bitter geweint, dass auch ich meine Tränen nicht halten konnte. Mutter ist jetzt tagsüber so viel allein. Dies ist nicht gut für sie. Sollten Sie mal nach Sülz kommen, so machen Sie ihr doch bitte einen Besuch. (Sie braucht nicht zu wissen, dass ich im Osten liege).

Gestern machte ich mit noch 2 anderen Kameraden einen [Ab]stecher über die Grenze. Plötzlich und unerwartet standen wir vor einem Soldatengrab mit 3 Kreuzen und 3 Stahlhelmen. An den Helmen konnte man deutlich Kopfschüsse feststellen. Dieser Augenblick hat mich tief erschüttert. Es standen noch andere Kameraden

um das Grab herum. Keiner sprach ein Wort. So ein Grab hat doch eine tiefe Wirkung auf viele. Sagt es uns nicht mit der Schrift „Seid wachsam, denn ihr wissst weder Tag noch Stunde, wann der Herr kommt.“ Auf dem Rückweg wurden wir von einem Gewitter überrascht. Hagelkörner so dick wie Kirschen. Wir suchten Zuflucht in einer zerstörten Hütte. (In dieser Stunde habe ich meinem Heiland ein Gelöbnis gemacht, dessen Erfüllung zugleich die Erfüllung meines Herzenswunsches bedeutet, und ich hoffe mit Gottes Hilfe es auch zu halten.)

Am Sonntag waren wir in einem polnischen kathol. Gottesdienst. Es ist etwas herrliches. Alles um dich herum so fremd und doch fühlt man sich immer wieder geborgen und daheim. – (Man sollte eigentlich annehmen, dass die Gedanken und Redensarten der Kameraden etwas ernster würden. Aber nein! Die Zoten und schlechten Reden werden nicht alle. Ich bin schon froh, dass wenigstens einige Gleichgesinnte darunter sind. Was mich betrifft, ich hab mein Leben in die Hand Gottes gelegt und habe das feste Vertrauen, dass er mir helfen wird.) Ich empfehle mich Ihrem Gebete und dem der Kameraden und besonders der Ministranten.

Heil und Gruss Ihr

Willi