Jochen Soddemann an Rudolf Stiesch, 14. September 1941

Am Sonntagmorgen, den 14.9.41.

Lieber Rudolf!

Für Deinen Brief Dir heute, in der Stille des Sonntagsmorgen, von der Freiwache Dank und Antwort. Dazu habe ich vorerst eine Bitte:

Ich habe bei jedem Brief, der mit der Schreibmaschine getippt ist, immer so das Gefühl, als habe der andere jetzt eine geschäftliche Pflicht erledigt. Du verstehst mich hoffentlich recht, auch in der Schrift drückt sich, so glaube ich, der Gruß aus. Nimm es mir nicht krumm, wenn ich Dir das einmal geschrieben habe. Doch nun genug gemeckert!

Fein, daß der Winter anscheinend doch neue Arbeit bringt. Hoffentlich bleibt die Beteiligung so, denn immer wieder gilt es, der Erziehung unserer Jungen von heute ein lebendiges Gegengewicht zu schaffen. Jupp schrieb mir von der Stunde für Willi und Hans und war recht begeistert davon. Hans schrieb, daß ich von Frau Boyen noch ausführlicher davon hören würde. Ich bin gespannt.

Was ist denn für die kommenden Wochen geplant? Hans berichtet von einem Abend: „Es kommt der Herr der Herrlichkeit.“ Ist damit ein Adventabend

gemeint oder das Christusbild im Allgemeinen? Ich glaube nicht, daß man das Bild von Christus in einer Runde erschöpfen darf.

Dagegen wäre viel über den kommenden Christus, die Sehnsucht und das Warten der Völker auf ihn zu sagen. Noch letztlich habe ich einen feinen Schrieb von Guardini: „Der Heiland“ durchgearbeitet, der manches dazu zu sagen hat. –

Ich bin recht gespannt auf Eure Pläne. Vielleicht habt Ihr auch eine feine Sache für mich, ich hoffe doch, daß wir in spätestens 6 Wochen unseren Urlaub bekommen. In den zwei Wochen soll ordentlich geschafft werden, ich freue mich schon jetzt darauf. – In der letzten Woche habe auch ich den Film: Friesennot noch einmal gesehen. Es ist schwer, die Frage, die er aufwirft, zu lösen. Ist die Gewalt berechtigt, ist es berechtigt, sich frei zu machen um des Glaubens und des Volkes willen. Oder ist es nicht christlicher, das Schwerste zu tragen, im Glauben, daß aus jedem Opfer neuer Samen kommenden Frühlings wird.

Ich wage die Antwort nicht zu geben. –

Am Donnerstag saßen wir zum ersten Mal mit zehn Mann aus der Kompanie zusammen, sangen unsere Lieder und sprachen von unserem Leben. Fein wars.

Nun geht’s mit Volldampf in die neue Woche. Was wird sie bringen.

Dir heute Heil und Gruß

     Jochen