Kaplan Stiesch an Konrad Friesenhahn, 18. Oktober 1941
Rudolf Stiesch Köln Bickendorf Schlehdowrnweg 1
18. Oktober 1941
Lieber Konrad!
Inzwischen ist Deine Formulierung von dem neuen Dschingiskhan ja sogar in der letzten Führerrede gebraucht worden. Sie trifft also den Nagel auf den Kopf. Unsere stete Sorge begleitet Euch da draussen, die Ihr jetzt hoch der- russischen Winter spüren arüszt. Deine Mama war anlässlich des Reqiems für Andreas Piel hier und da habe ich Deine letzten Briefe alle vorgelesen bekommen. Es ist ja nicht zu glauben, was Du nun schon alles erlebt hast. Man dachte doch, der Frankreichfeldzug oder der polnische allein genügten schon, um einem das ganze Denken auszufüllen. Hoffentlich werdet Ihr bald eimal abgelöst. Soviel werden aber wenige bisher haben durchmachen müssen, wie Ihr. Hier haben wir jetzt wieder häufiger Alarm, nachdem wir 4 Wochen Ruhe gehabt haben. - Man hatte eich daran schon wie an einen Normslzuststand gewöhnt, so wie jetzt an den allnächtlichen Besuch. Am Friesenplatz das Siemenshaus ist zerstört neben der Kunstausstellung.
Du machst Dir übrigens Sorge, dasz Du nicht mehr antworten kannst. Es ist doch selbstverständlich, dasz wir mehr garnicht erwarten! Und umso mehr freue ich mich, wenn ich mal in Werden eine ganze Menge der ausführlichen Briefe lesen kann.
Vor einigen Sonntagen hatte ich Dr Sistermanns und Kaplan Vehlen zu Besuch. Die beiden waren Studienfreunde und Weltkriegskameraden. Sie hatten sich 22 Jahre nicht mehr gesehen. Das Wiedersehen war zu schön. Genau wie im Radio: Weiszt Du noch, wie wir.. . Und nicht etwa die belangreichen Entscheidungen des Lebens waren die schönsten und nachhaltigsten Erinnerungen sondern die gemeinsam verübten Streiche. Zum Beispiel haben sie mal im Kasten d.h. im Preisterseminar sämtliche Lokusse bis auf einen von innen verschlossen und amüsierten
sich dann über die hilflosen Menschenmassen, die die scheinbar besetzten Loci belagerten uä. – So wirst Du Dich später nach 20 Jahren sicher auch mal mit Kameraden unterhalten.
Anbei schicke ich Dir den Totenzettel unseres Pfarrjugendhelfers, denn Deine Mama hat ihn gesehen und meinte, der Zettel würde Dich wohl interessieren. Ich finde ihn auch sehr schön zusammengestellt. Augenblicklich läuft hier ein Film: Ich klage an. In diesem Film wird die Euthanasie propagiert d h die These, man müsse rettungslos Kranke ganz töten um ihnen die Qual des langsamen Sterbens zu ersparen. Die Fragen sind nicht so ganz einfach. Vorigen Sonntag habe ich darüber gepredigt. Der gewichtigste Grund der natürlichen ….. [nicht lesbar] dagegen ist der, dasz jedes Vertrauen zwischen Patient und Arzt zerstört würde, weil ja der Kranke nie weisz, ob der Dr vor ihm nun sein helfender Arzt oder sein krankes Wild abschiessender Jäger sein wird.
Nun wünsche ich Dir alles Gute! Hoffentlich sehen wir uns bald mal wieder! Und etwas länger als bisher! Wir werden viel zu erzählen haben.
Herzlichst