Kaplan Stiesch an Hubert Gülden, 10. November 1941

Rudolf Stiesch Köln Bickendorf Schlehdornweg 1

10. November 1941

Lieber Hubert!

Zunächst für Deine der Flickstunde abgerungenen Zeilen herzlichen Dank. Ich musz immer über Deine klare und saubere geradezu beneidenswerte Schrift staunen. Ich wünschte, meine wäre auch so leserlich. Gestern habe ich Dich übrigens in 30 mtr Entfernung erspäht. Vermutlich war es nur ein kurzer Urlaub, wie das anfangs meist zu gehen pflegt. - Rudi Conin war in Urlaub, und wir haben uns gefreut, ihn mal wieder in unserer Mitte zu haben. Seine Schwester hat zu seinem Leidwesen Hochzeit gehalten. Solche Feste mit Trinksprüchen und ähnlichem Aufwand feiern, liegt ihm natürlich absolut nicht. Dann hatten wir Visitation durch Weihbischof Hammels. Ich hatte grade Jungen vom 4. Schuljahr in der Seelsorgstunde, und die nutzten die Gelegenheit aus, liefen zum Auto, „um ihren Bischof zu sehen“. Er unterhielt sich gleich mit den Puten und erzählte ihnen, er hätte ein kleines Weh am groszen Zeh. Dann stellte er die Rätselfrage, dies möglichst kurz zu schreiben. Die Lösung war: Cw. Sowas erwarb ihm natürlich die Sympathie der „Massen“.

Die letzten Themen des Heimabends interessieren Dich vielleicht: 27 Oktober Willi Geurtz über Heinrich Federer. Er lasz sehr schöne Proben vor aus Berge und Menschen und aus Pilatus. Ich hoffe, dasz dadurch das Interesse bei einigen geweckt worden ist. Habt Ihr da etwas zu lesen? Oder seid Ihr so angespannt, dasz Ihr gar nicht dazu kommt? Bei den Jüngeren hielt ich einen Abend über Wallenstein und den 30 jährigen Krieg, so ähnlich wie den Deinen über den Prinzen Eugen. Auf diese Weise habe ich den Schillerschen Wallenstein schnell in einem Zug gelesen. Das

tut einem ordentlich mal gut, etwas Klassisches in dieser gepflegten Sprache zu lesen. Vorige Woche sprachen wir über die Totenmaske und das Antlitz als Spur des göttlichen Geistes, der sich den Menschen geformt hat nach seinem Ebenbilde. Dann erzählte anschlieszend ein Herr aus der Pfarre sehr interessante Begebenheiten aus seinem Leben. Seine Mutter zB nahm es in Eigentumsfragen sehr genau. Sie wollte in der Tat keine Stecknadel besitzen, die nicht ihr wohlerworbenes Eigentum war. Nun hatten sie ein Milchgeschäft. Eines Tages wollte die Mutter Rahm für den Salat reservieren. Eine Frau, sagte der Mutter, sie solle doch von den für die Stadt bestimmten Kannen einen Löffel Rahm abschöpfen. Das mache doch nichts aus. Nach anfänglichen Sträuben liesz sich die Mutter bereden. Sie schöpfte etwas Rahm ab. Die Magd soll die Kannen wegtragen, rutscht aus, die Kannen laufen aus, 40 Liter milch sind zum Deubel. Die Mutter hätte das immer erzählt als Beweis, wie Strafe auf dem Fusse folgen könne.

Nun sei herzlich gegrüszt!