Jochen Soddemann an Rudolf Stiesch, 30. November 1941

Im Beginn des Advent 1941.

+ Rudolf!

Hab Dank für Deinen Brief, der mir von euren Schaffen berichtete. Auch ich war in den letzten Tagen nicht untätig.

Auf unserer Bude hängt ein feiner Adventskranz. Am Sonntagabend saßen wir zusammen unter seinem Lichterschein um einen blumengeschmückten Tisch und sangen all unsere alten Lieder von Heimat und Weite. „Die Sehnsucht will uns bezwingen, doch wir reiten die Sehsucht tot“.

Aus seinem Büchlein „Kamerad und Kameradin“ von Rudolf Kinau – übrigens recht gut, gestaltet auch Morgenfeiern des Rundfunks – las ich ein Wort vom Heimweh. Stumm standen wir einige Minuten und dachten an all die gefallenen Brüder, Freunde und Kameraden. Wir reichten uns die Hände zum Nachtgruß: „Nun Brüder eine gute Nacht, Der Herr im Hohen Himmel

wacht. In seiner Güte uns zu behüten, ist er bedacht.“ Die Kerle waren ganz begeistert, die meisten hatten solche Stunde wohl noch nie erlebt. Sie baten mich sofort um ähnliche Stunden an den kommenden Sonntagen. –

Bewußt habe ich an diesem Abend nicht vom Glauben gesprochen, und ich werde es auch an den kommenden nicht tun. Nur eines will ich: Eine ganz große Sehnsucht in ihnen wachrufen, die eine Frage ohne Worte ganz lebendig vor sie hinstellen, deren Antwort nur die frohe Botschaft der Christnacht sein kann. Einige erwarten sie schon jetzt von mir. Vielleicht wird dies dann für mich die schönste Weihnacht meines Lebens, wenn ich hier den Kerlen ein wenig Heimat schenken und das Hohe Geheimnis der Heiligen Nacht künden darf. (Vom Julfest oder dergl. spricht keiner).

Auch Ihr steht sicherlich mitten in den Vorbereitungen

auf das Fest. Was ist aus meinen Vorschlägen geworden? Habt Ihr den Kameraden allen einen Gruß zur Weihnacht hinausgesandt?

Wie steht es mit dem Elterntreffen? Seid Ihr schon einmal näher an diesen Plan herangetreten? Bald beginnt ja auch die Arbeit in der neuen Klasse, die Ostern die Schule verläßt.

Ich bin recht gespannt, von allem zu hören. – Noch habe ich recht wenig Material für die kommende Weihnacht. An Timmermanns habe ich auch schon gedacht, glaube aber, daß dafür das rechte Verständnis fehlt. Die „Kriegsbriefe“ habe ich selbst daheim und werde mir sie wohl schicken lassen.

Ich hoffe aber, noch allerlei in den nächsten Tagen zu bekommen. Habe auch Angenendt darum geschrieben. Heute will ich mich einmal an unseren Marinepfarrer wenden.

Für Deine Mühe hab jedenfalls recht herzlichen Dank. –

Im Augenblick lese ich Hölderlins „Hyperion“. Es fällt mir recht schwer, dareinzukommen. Habe von Daheim im Urlaub den „Hölderlin“ von Guardini geschenkt bekommen und will mich zu Beginn des neuen Jahres daranmachen.

Noch ein feines Erlebnis von Sonntag:

Wir vier Theologen – mittlerweile ist noch einer unter unseren Rekruten – gingen in der Stille des Sonntagmittag in einer holländischen Kirche zum Heiligen Mahl. Auf meiner Stube sangen wir uns dann in den Advent: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit! Es kommt der Herr der Herrlichkeit.“

Und er gab uns die rechte Kraft zu neuem Dienst. Auch Euch allen seiner Gnaden Fülle

   In Treue  

Jochen