Kaplan Stiesch an Ludwig Kreuser, 15. Dezember 1941
Rudolf Stiesch Köln Bickendorf Schlehdornweg 1
15.12.41
Lieber Herr Ludwig Kreuser!
Ihnen herzlichen Dank für Ihren Brief, der am 28 Oktober geschrieben war, am 16 11 gestempelt und am 13 12 hier ankam. Da sieht man mal, wie weite Räume uns trennen, fast als ob eine Nachricht aus einem andern Erdteil käme. Ihnen meinen herzlichen Weihnachtswunsch und den der Jugend der Pfarre. Es laufen hier ja so Gerüchte dasz im Osten doch etwas Urlaub für den einen oder andern zu holen sei. Hoffentlich glückt es bei Ihnen auch recht bald. Eugen Lingohr und den älteren der Henrichbrüder habe ich gesehen, die auch beide tief im Osten waren und jetzt Urlaub hatten.
Am 4 12 bekam ich Bescheid, dasz ich nach Weihnachten wahrscheinlich auch eingezogen werde zu den Sanitätern. Ich freue mich darauf in dem Sinne, dasz ich dann das erlebe, was fast alle jungen Männer tragen müssen, nicht als ob ich mir die Sache bequem oder gar rosig vorstellte. Dann werden wir also mit Recht kameradschaftliche Grüsze wechseln können und uns vielleicht eines Tages mal feldgrau wiedersehen.
Hier ist es in der letzten Zeit Gott sei Dank fast ganz alarmfrei geblieben. Nur ein Angriff war in den letzten Monaten und da ist leider das erste Glied der Pfarre ereilt worden: Herr Mahlberg vom Weiszdornweg. Er wurde durch eine Brandbombe auf der Strasse getroffen. R i p.
Der Nikolausabend für die Meszdiener und einer für die Jungmänner haben sehr viel Arbeit gemacht aber auch viel Freude. Es war ein tüchtiges Stück Arbeit für 80 Mann je 6 Verse dichten, das ergibt schon ein kleines Epos. Und doch möchte ich es nicht missen. Die kleinen Geschwister der Meszdiener kamen tagelang
über das grosze Erlebnis des Nikolaus nicht hinweg. Und jetzt bereite ich mit den Kindern ein Krippenspiel vor. Weihnachten ohne dem erscheint mir immer nur etwas halbes. Und diese Eindrücke der Kindheit sind für manchen vielleicht unvergesslich. Es ist gewiss ein Mangel, wenn der Glaube nur gelehrt und gehört wird und nicht wie hier in lebendigem Spiel erlebt und gesehen wird. Und wie mag Weihnachten bei Ihnen im Osten sein? Hoffentlich können Sie diese schweren Opfer bringen. Die seelischen Entbehrungen mögen denen des Körpers nicht viel nachstehen.
Ich habe einen Vetter vor Leningrad und er schreibt an seine Eltern immer ausführliche Briefe. So habe ich ein einigermassen zutreffendes Bild, was Sie alles durchzumachen haben.
Letzten Freitag hielten wir mit wenigen Jungen in der Seitenkapelle der Kirche eine kleine Adventstunde. Nachher gingen wir auf die Orgel und Ihr Bruder Josef spielte pianissimo einige Takte. Unglaublich, wie viel Stimmung in solch einem kleinen Erlebnis beschlossen sein kann. Und ich hoffe, dasz so vom Glauben doch manche Kraft ausgeht, die nach aussen nicht ohne weiteres sichtbar in die Erscheinung tritt, wie die Geschosswirkung einer Granate.
So lange ich noch hier bin, werde ich Ihrer besonders eingedenk sein und dann – mit kameradschaftlichem Grusz
Ihr