Werner [Niederwipper] an Kaplan Stiesch, 1. Januar 1942
am 1.Januar 1942.
Gruß und Heil zum Jahresbeginn!
Heute will ich durch Sie meinen jungen Kameraden in der Pfarre meinen Gruß senden. In den letzten Wochen bin ich dermaßen hin und hergeflogen, daß ich weder Zeit noch Ruhe fand, einen vernünftigen Brief zu schreiben. Erst 160 km Gewaltmarsch, dann nach ein paar Tagen mit der Bahn weg, und wieder ein paar Tage Einräumen und Wohnlichmachen der neuen Quartiere, dann wieder ein Marschbefehl, wieder per Eisenbahn (unterwegs haben wir einen Weihnachtsmann in unseren Güterwagen geholt und zur Klampfe Weihnachtslieder gesunden). Zu Weihnachten Ankunft am nächsten Wohnort.
Auch hier dauerte es nur 3 Tage, dann ging es wieder zu Fuß weg. Wo ich augenblicklich bin wachsen Palmen, Rosen blühen, der Ginster blüht, kurz, hier sieht es mehr nach Ostern aus als nach Weihnachten. Nun scheint es heute, als ob ich wirklich in Ruhe gelassen würde, deshalb will ich unverzüglich schreiben.
Wir gehen in ein neues Jahr, welches sich groß vor uns auftut, wie ein dunkles Tor, bei welchem wir nicht wissen, was dahinterliegt, Freud oder Leid, Glück oder Unglück, Erfolg oder Rückschlag, Leben oder Tod. Neuland ist es, das wir betreten. Eins nur wissen wir, daß auch in diesem Jahr, das uns wie ein dunkles Tor entgegengähnt, einer herrschen wird, der die Zeiten lenkt und die Jahre nicht zählt.
Der junge Gott, der Ewig-Jung-Seiende, der uns zu seiner Wahrheit berufen hat, zu Zeugen seiner Herrlichkeit, zu Werkleuten am Bau seines Reiches, er steht als leuchtendes Ziel vor uns. Wir wollen mit Elan in das neue „Jahr des Herrn“ hineinstürmen mit dem alten Kampfruf des Engels „Michael – wer ist wie Gott!“
Wir wollen uns und unser Kämpfen und Arbeiten unter Gottes Willen stellen und mmit seiner Hilfe den guten Kampf kämpfen.
Ich wünsche Ihnen, Herr Kaplan, und allen Kameraden ein gnadenreiches Jahr und alles Gute.
Werner