Kaplan Stiesch an Konrad Friesenhahn, 11. März 1942

Rudolf Stiesch Köln Bickendorf Schlehdornweg 1

11. März 1942

Lieber Koni!

Letzten Mittwoch bin ich in Benrath gewesen und dort auch mit Deiner Mama zusammengetroffen. Sie hat wieder wie immer aus Deinen Briefen vorgelesen und wir alle waren von dem Erlebnis sehr gepackt. Immer haben wir alle den Eindruck der wahrhaftigsten Darstellung. Ich habe Deiner Mama die Noten von Mozart mitgebracht, die sie in Bickendorf hat binden lassen. Sie hat sich sehr darüber gefreut. So gebunden erscheint einem manches neu geschenkt, so wie auch ein Bild machmal erst dann ganz wirkt, wenn es gerahmt ist.

Und ich las, dasz du dort in Russland noch lateinstudien betreibst. Hoffentlich klappt die Sache gut! Im Weltkrieg haben die Soldaten ja auch die schwirigsten Sachen im Feld studiert, dasz man es nicht begreift, wie es möglich war. zB der Professor Vogels in Bonn hat als Feldgeistlicher in Frankreich ausserdem noch die schwierigsten Forschungen über die Geschichte der lateinischen Bibel angestellt, die gleich 1919 nach Kriegsende gedruckt wurden. Er erzählte im Seminar, dasz diese Zeit, wo er Feldgeistlicher war, die schönste seines Lebens gewesen wäre. Und er war sehr stolz darauf, dasz er mit Selbstverständlichkeit unter den Soldaten kameradschaftlich gestanden habe, so erzählte er davon, wie er im Massenquartier in München nach dem Rückzug untergebracht wurde, wäre er gleich mit den Soldaten ein Herz und eine Seele gewesen. Man kann so etwas schlecht schreiben, Du müsstest ihn selbst einmal erzählen hören. Seinen tüchtigsten Schüler den Professor Schäfer hast Du ja kennen gelernt.

Und ich bin immer noch in Bickendorf. Neuerdings haben wir

wieder allnächtliche Fliegerangriffe, und wer weisz, wie lange das noch so bleibt. In einem Zigarettenalbum sah ich Bilder vom Weltkrieg, auch solche vom Osten, wo im Frühjahr das ganze Land auftaut und einen groszen See bildet. Das wird für Euch ja noch eine tüchtige Schweinerei geben. Hoffentlich hast Du wasserdichte Stiefel. Man musz immer staunen, welcher Anstrengungen nicht die Menschheit fähig ist. Das ist ja nicht auszudenken.

Sonst passiert hier in Bickendorf nicht viel Neues. Vor 14 Tagen war ich [in] einem Konzert. Elly Ney spielte Mozart Sonate in A dur, die türkische, die Dein Papa immer spielt, dann die Phantasie mit der Sonate, von Beethoven die „Liebst Du mich – Sonate“ in Es dur und die Wandererphantasie von Schubert. Alles Stücke, die ich ziemlich genau kannte, aber deshalb doppelt reizvoll zu sehen, wie viel darin noch steckt, was man bisher noch nicht erkannt hatte. Die grosze Musik dieser Epoche scheint doch fast unerschöpflich zu sein, wie in einem Bild entdeckt man immer neue Feinheiten. Wann werden wir beiden mal wieder in musischen Genüssen schwelgen?

Die oben genannte Beethovensontate spielt Adri Briels übrigens recht gut. Weiszt Du noch, wie er aussah. Er studiert jetzt die Re[chte]. Erst wollte er Altphilologe werden. Eine Zeitlang war er mal auf [dem] Bürgermeisteramt in Herzogenbusch tätig. Du hast ihn wohl weniger kennen gelernt als Ota. Ota hat ihn immer in griechischen Verba geprüft und sich über die holländische Aussprache amusiert bis er da sagte: loop na den Maan = laufe zum Mond.

Es waren schöne Stunden, die wir drei erlebt haben. Schade dasz man immer mehr die Phantasie und Einbildungskraft des 15 jähr[igen] einbüsst. Wir kamen uns zusammen als Indianer und was weiss ich vor. Wo war eigentlich damals noch das schöne Krippenspiel von Eurer Schule, wo es da hiesz: Ich bin ein König und die Weisen ganz drüsch antworteten: Wir sind drei! Ich glaube das war in der Bürgergesellschaft, nicht wahr?

Herzlichen Grusz