Von Rudolf Stiesch (evtl. aus Briefen von Franz Ley) zusammengestellter Rundbrief, März 1942
Im Felde, den 20 3 42
Ihr Lieben!
Das Osterfest steht vor der Tür. Der grosze Tag des Sieges rückt näher und näher. Es ist kein Tag des Sieges, der auf zerbrochenen Schädeln, zerschlagenen Gebeinen und Zerstörung gründet, dieser Sieg ist ein Sieg des Lebens über den Tod, wenn auch der Tod bei dem Sieger voranging. Aber ohne ihn wäre es ja kein Sieg. Die Osterstimmung, die nun bei Euch langsam zu Tage tritt, fehlt hier gänzlich. Alles ist versturt. Man sehnt sich nur nach der Heimat, nach dem Leben. Unser Dasein ist ja hier nicht mit „leben“ zu vergleichen. Es ist ein stetes Schwanken über dem Abgrund des Todes. Von Heroismus ist keine Spur zu merken. Es ist nur ein stures, duldendes Durchhalten, freundlos, lieblos, hart, dazu noch die unverschämten Witterungseinflüsse. Wenn ich die Leute so ansehe, so glaube ich bei jedem lesen zu können: Leben, Leben, Leben! Dieser Schrei gellt zum Himmel. Wer gibt uns Leben? Wunderbar, wer da den Glauben an das Leben, das Christus uns gegeben hat, in sich trägt. Darum ist gerade die Osterzeit die Zeit, besonders um das Leben zu beten, nicht nur irdisches; denn was nützt uns das Beten um irdisches Leben, wo der Tod einen im nächsten Augenblick hinweggemäht haben kann, nein, vor allem um das ewige viel schönere Leben. Betet auch Ihr für mich darum. Das offizielle Beten vergesse ich oft, da für uns der Tag nicht beginnt und die Nacht nicht endet, aber wenn ich auf Posten stehe, dann fühle ich all das und lasse die Eindrücke auf mich wirken. Und nun wünsche ich Euch allen ein recht frohes, gesegnetes und gnadenreiches Osterfest.
Euer Franz
Im Felde, den 30 3 42
Liebe Mutter!
Eigentlich müsste ja jetzt ein langer Brief folgen, (denn gestern erhielt ich Deinen lb Brief.) Aber da ich nur Karten besitze, muss ich mich kurz fassen. Also pass mal auf. Du meinst, ich habe mich sehr verändert. Ich wäre nicht mehr der Jungmann anderer Tage und meine Gesinnnung sei nicht mehr die gleiche. Verändert habe ich mich, ja, ich bin reifer und an der Front härter geworden. War ich bisher und an den ersten beiden Tagen an der Front noch ein Kind (wenn ich an den Inhalt des ersten Briefes denke, dann ist es so), dann bin ich in den fünf Wochen zum Mann gereift. Die letzten Briefe werden es wohl beweisen. Weiter darüber zu schreiben ziemt sich nicht. Der Jungmann anderer Tage bin ich demnach auch nicht mehr. Viel Unwesentliches schien mir damals wesentlich, doch nur das Wesen der Dinge, das ich heute erkenne, kann bestehen, auch bei mir. Mich ruft der „Geist des Ganzen“. Meine Gesinnung habe ich nicht noch, nein sie ist immer die gleiche geblieben, nur mit dem wesentlichen positiven Unterschied, dass ich heute an der Front all das erst erlebe, was ich zu Haus als Jungmann erlebt zu haben glaubte. Die kirchlichen Erlebnisse wie Kompleten, Messen, Feierstunden, wie die weltlichen sind gleichsam wie Funken in meiner Seele gelegen, die unter dem Wust des Alltags zu ersticken drohten, nun aber, da die Seele frei ist und atmen kann, schlagen sie zu lodernden Flammen in meinem Innern. (Weiszt Du noch Mutter, als ich Dich damals in Rhöndorf besuchte, da wir den Berg hinaufstiegen, und alles was Mensch war, hinter uns liessen und ich da scherzhaft sagte: „Wir beide erklimmen die Höhen des Lebens, mag fallen und bleiben wer da mag!“ Ich sagte es scherzhaft, heute weisz ich, dasz ich ohne es zu wissen, einen wahren und ernsten Satz sprach. Mutter halten wir es so, ja? Noch vieles könnte ich Dir schreiben, aber der Platz langt nicht mehr. Darum musz ich wohl oder übel Feierabend machen. Später mehr.
Nun, entbinde Dich jeder Sorge um mich, meinen Herrgott vergesse ich nicht. Übrigens habe ich die hl Kommunion am letzten Sonntag vor dem Ausrücken empfangen. Ich habe sooft kommuniziert, als es ging. Beichten konnte ich leider nicht. Keine Möglichkeit. Also dann viele Grüsze auch an Vater und Geschwister
Franz
Im Felde den 7 4 42
Liebe Eltern und Geschwister!
Nun ist schon Ostern vorüber, und noch haftet in uns das grosze Erlebnis der Ostertage. Ihr wollt sicher gerne wissen, wie ich Ostern verlebt habe. Nie habe ich Ostern so froh, so innerlich frei und überwältigend gefeiert wie hier. Ostern war für mich dieses Jahr ein gewaltiges Erlebnis. Es war für mich Symbol des Wachens und er Bereitschaft. Die erste Tagesstunde am Ostersonntag habe ich auf Wache gestanden und mit der Sonne den Tag begrüszt, den Tag des Lebens. Als Ihr zur Messe wart, um 8 Uhr, hatte ich ebenfalls Wache, und gleichso am Abend um 5 Uhr (ausser den andern Stunden). Da ist in mir so ein Gefühl der Verbundenheit mit Christus hochgestiegen. „Wachet und Betet.“ Ich habe gewacht, und das kam ganz von selbst, gebetet. Einem Unteroffizier konnte ich in den Kartagen die wahre Bedeutung, so wie ich es Euch geschrieben habe, des Osterfestes mitteilen, und er war froh. Er sagte zu mir heute, dasz er eine wahre und echte Feiertagsstimmung gehabt hätte. So, das wäre von mir, schreibt mal, wie Ihr Ostern verlebt habt. Nun zum Materialismus des Leibes. Kurz einen Vorschlag für 100 Gr Päckchen. Wenn es geht, schickt mir zum Suppekochen lose Erbsen, Linsen oder Bohnen oder Salz Zucker und so. Das kann ich gut gebrauchen. Könnt ja mehrere Päckchen zugleich abschicken. Knäke Brot wäre mir auch lieb. Nun seid herzlich gegrüszt von Eurem Franz
Mir geht’s gut.
Im Felde, den 11 4 42
Liebe Mutter!
Nachdem ich nun die Umschläge von Mary geschickt bekam, möchte ich noch mal ein Stück Brief schreiben. Wie Du am Papier siehst, herrscht hier grosze „Feuchtigkeit“. Tauwetter ist eingetreten. Was das heiszt, kann nur der ermessen, der dies miterlebt hat. Trockene Stellen sind nirgendwo festzustellen. Gräben, Wege Bunker in alles dringt gierig das Wasser. Trockene Füsse und Kleider sind für uns lockende, in weiter Ferne liegende Seltenheiten. Und dabei trat das Tauwetter erst Osterdienstag ein, aber mit einer enormen Heftigkeit. Ganz plötzlich über Nacht sahen wir unsere Gräben unter Wasser. Dem Russen geht es allerdings nicht besser. Ich habe einmal in der Nacht einen „Spätrupp“ auf eigene Faust gemacht um mir die Russengräben anzusehen. Die liegen nämlich tiefer und an der Newa. Die können Paddelboot fahren.
Nun noch kurz eine Schilderung über meine äussere Umgebung zu Ostern. Hinter uns Wald, dessen „Bäume“, wenn man für die Streichhölzer oder Polizeifinger noch Bäume sagen kann, kahl und nackt und zerschossen in den Himmel zeigen. Wir selbst haben unsere Stellung im Chausseegraben, vor uns russische Gräben, spanische Reiter, dahinter die Newa. Auf der anderen Seite sind nur noch die Trümmer einer ehemaligen, riesigen Fabrik, sowie ganzer Ortschaften zu erkennen. Das Gelände ein Trichterfeld. Das war die Landschaft, die an den beiden Ostertagen von der Sonne beschienen wurde. – Herr, schenk diesem Land Leben und Frieden wieder.
Nun zu Deinem Brief. Na, dann ist ja unsere Freude beiderseitig. Gleichzeitig erhielt ich von Werres Post ungefähr gleichen Inhaltes. Beide Briefe atmeten Freude und Zufriedenheit. Liebe Mutter, lass
mich später näher darauf eingehen. Ich habe nach der langen Arbeit, die nicht mit 8 Stunden, sondern in den letzten Tagen mit 20 Stunden, auch 24 Stunden begrenzt war, praktisch nicht geschlafen. Darum verzeih mir, wenn ich jetzt schliesse, ich bin müde. Ein Kamerad spricht grade von Bonbon. Das wäre ein Vorschlag für 100 gr Päckchen und fürs Postenstehen. Nun Grusz und Kusz
Dein Franz
Behüt Dich Gott, grüsz mir die andern Lieben! Mary besonderen Dank.
Anbei 60 RM für die Sparkasse. Die Kreditscheine gelten auch in Deutschland.
Im Felde, den 16 4 42
Liebe Mutter!
Gestern abend erhielt ich Deinen Brief vom 7 d M. Ich möchte hier nun gleich auf das wichtigste Thema eingehen. Soviel ich mich erinnere, schrieb ich schon einmal, dasz ich schon oft hart am Tode vorbeigegangen bin. Ein entscheidender Wendepunkt in meinem Leben ist bei einer solchen Gelegeneheit eingetreten. Das Lied vom guten Kameraden habe ich an mir selbst erfahren. Es heiszt da: „er fiel vor meinen Füssen“. Ich ging grade, den Posten abzulösen. Die feindliche Pak beschosz unsern Stand. Wir scherzten noch, dasz er nur die Deckung traf, und keine Waffen und Menschen. Da wieder ein Schusz, mein Kamerad sackt vor mir zusammen und sagt noch. „ich hab einen weg“. Ein Granatsplitter traf ihn im Hinterteil und kam am Bauch wieder heraus. Es war eine riesige klaffende Wunde. – Hätte dieser Kamerad nicht vor mir gestanden, wäre mir der Splitter in die Brust gegangen, denn die Splitter kamen von unten nach oben. Da habe ich mich gefragt: „Womit hast du das verdient, dasz Gott einen andern opfert, um mich zu schonen. Da fiel (mir) in ihrer ganzen Grösze meine Aufgabe im Leben ein. Da wuszte ich, dass ich zu leben habe, zu kämpfen für Christi Reich, denn nur das kann das Opfer des Kameraden wert sein. Und ich erschien mir klein und hässlich, und Gottes Allmacht und Grösse schien mich zu erdrücken.
Das möge nun für heute genügen. Etwas anderes passt nicht zu dem Brief. Nur möchte ich noch an das Briefpapier erinnern.
Gott grüsz Dich, liebe Mutter und auch alle andern
Dein Franz.
Im Felde, den 26 4 42
Lieber Vater, Mutter und Geschwister!
Schwere Stunden stehen mir bevor, darum möchte ich Euch zuvor noch einmal ganz kurz schreiben. Viele Worte will ich nicht machen. Wenn Euch dieser Brief erreicht, dann habe ich das morgige Unternehmen entweder schon vergessen oder ich bin nicht mehr. Morgen wird nämlich ein Unternehmen gröszten Ausmasses steigen. Es ist ein Stosztrupp, aus Freiwilligen zusammengestellt. Ich war der erste Freiwillige, denn zufällig hörte ich von dem Stosstrupp zuerst. Unsere Gruppe wird auch zuerst angreifen. Na, wird schon schiefgehen. Jedenfalls: Gott mit uns! Das steht auf dem Koppel und Gott verlässt keinen Deutschen und einen Christen erst recht nicht, aber (!) er schont auch seine Soldaten nicht, haben wir jungen Christen ihn doch selbst darum gebeten. Euren Segen habe ich nun, liebe Eltern und Euer aller Gebet steht mir zur Seite. Ich habe keine Furcht, weisz ich doch, dass ich mit meinem Gott im Frieden lebe. Darum seid auch Ihr ohne Sorge. Gott hat mich aber so lange und offensichtlich beschützt, dann wird er es auch sicher jetzt tun. –
Falls ich fallen sollte, wird Euch mein Taschenbuch geschickt werden. Darin sind mehrere Gedichte. Verwendet sie entsprechend. Die geschickten RM 120.- sind in diesem Falle für Josephs Studium zu verwenden. Lasst ihn Jura studieren. Also dann Gott befohlen, es grüszt euch herzlich
EuerFranz