Werner Stoffel an Kaplan Stiesch, 20. Mai 1943
20/5.
Mein lieber Rudi!
An den Ufern der Weichsel, in irgendeinem Kaff sitze ich im Wartesaal, um Dir Deine lieben Zeilen zu beantworten, die ich heute morgen bekomme habe.
Also ich sitze in Graudenz an der Weichsel als Standortpfarrer der Wehrmacht und betreue noch 2 Nebenstandorte u. 1 Truppenübungsplatz mit. Ich bin gerade auf einer Fahrt, um bei einer Herresunteroffziersschule morgen Gottesdienst zu halten.
Daß ich vom 1. Tag in Rußld dabei war bei einer Infanterie-
Division, den schrecklichen ersten Winter im Mittelabschnitt miterlebte, in Weliki – Luki bei der ersten Einschließung mit dabei war. Mein Gehör so ziemlich verlor, das wirst Du so ungefähr schon wissen. Seit 1 ½ Jahren sitze ich nun im Heimatgebiet u. versuche schlecht u. recht meine Pflicht als Soldatenpfarrer zu tun. Was mir – gerade bei unseren ziemlich günstigen Verhältnissen – recht gut gefällt. Außer dem Standort habe ich noch ein Res. Lazarett mit ca 1200 Betten (kath. Ordensschwestern als Abt.-Schwestern) zu betreuen. Zudem eine ziemlich große Haftanstalt mit Untersuchungsgefängnis. Ein großes Wehrm.-
Gefängnis, das ich im ersten halben Jahr auch noch dazu zu versorgen hatte, ist Gott sei Dank aufgelöst bezw. verlegt worden. Das war an sich eine schwere, aber hochinteressante Arbeit, doch mit der anderen zusammen einfach nicht zu bewältigen.
Und wie es mir geht? Nach außen ein kräftiger u. gesunder Mann. In Wirklichkeit Kreuz u. Nerven kaputt. Herzmuskelschwäche sagen die Ärzte. Woher, weiß der Teufel! Durch die zerrütteten Kopfnerven hat auch mein Gehör so stark gelitten. Man merkt es in der Unterhaltung nicht, da ich raffiniert vom Munde ablese!
In Essen habe ich im März 43 alles verloren. Zum Glück aber kurz vorher ein Teil nach Wuppertal geschafft, wo es bis dato noch gut ge-gangen hat.
Vorige Woche traf ich in Danzig den Hans Annas als strammen Unteroffizier der Infanterie! Er leitet da einen Kursus für DRK Schwestern u. ähnliches Gemüse im „Rechnungsführer-wesen“. Bis jetzt hat es ihm noch immer gut gegangen… Lieber Rudi! Schreib mir doch mal ausführlicher. Ihr seid ja doch zu bedauern im Heimatkriegsgebiet. Konnex habe ich mit dem Heimatklerus nicht mehr. Z.Z. alles eingezogen, tot oder sie haben mich doch schwer ent-täuscht wie z. B. der an sich feine Zaunbrecher.
Für heute einen herzlichen Gruß von D.
Werner Stoffel