Kaplan Stiesch an Hubert Gülden , 18. Juli 1942

Rudolf Stiesch    Köln Bickendorf    Schlehdornweg 1

18. Juli 1942

Lieber Hubert!

Für Deine Zeilen aus dem fernen Osten recht herzlichen Dank. Du wirst inzwischen gewisz schon sehr schwere Stunden erlebt haben und ich hoffe, dasz Du gesund bist und auch geistig und seelisch diese ungeheuren Dinge ertragen kannst. Dein Brief war von der Feldpostprüfstelle geöffnet worden und sie hat einen Ortsnamen unleserlich gemacht.

Das Bild, das Du von Russland gibst, hat ja keine erfreulichen Einzelzüge. So trostlos hätte ich mir die Geschichte nun doch nicht vorgesteilt.

Augenblicklich bin ich hier allein.Der Pfarrer ist in Urlaub und Kaplau Fröhlich ist im Krankenhaus mit einer Erkrankung des Magens. Gestern haben wir ihn besucht und Skat gespielt. Er hält es mit Pater Chrysosthomus Schulte, der die Zeit, die man Skat spielt, nicht als verlorene Zeit betrachtet, sondern nur die Zeit, die man zum Mischen der Karten gebraucht.

Unsere Glocken sind nun auch abgeliefert. Nur die kleinste ist uns noch geblieben. Um manche Geläute tut es mir leid, so um das unglaublich rein klingende Geläute von St Adolphus in Düsseldorf, das auch abgeliefert worden ist. Im Weltkrieg war es um seiner Vollendung willen erhalten geblieben.

Zweimal noch war ich im Theater: in Romeo und Julia und in Kabale und Liebe. Wir haben dies auf der Schule gelesen, aber ich musz gestehen, dasz ich damals davon nur einen recht blassen und langweiligen Eindruck hatte. Dagegen war das Erlebnis auf der Bühne zutiefst erschütternd. Ich hätte nie geglaubt, dasz solche klassischen Stücke noch immer so bühnenwirksam wären. Und immer ist es eine Wohltat, mal wieder die gepflegte Sprache der groszen

Meister zu hören. Auch Romeo hat mich in tiefster Seele gepackt, ich habe es in Düsseldorf gesehen. Ich traf einen Freund, der eine neue Opernfassung gesehen hat. Er zog diese noch vor. Die Musik meinte er, könne die seelichen Vorgänge der Liebe und des Hasses usw. noch viel schöner geben, als die überdeutliche Sprache und Mimik der Schauspielbühne.

Die Gedächtnisstunde für Franz Ley ist nun auch gewesen, ungefähr war sie ja an dem Tag, als Du zum Osten abfuhrst. Unvergesslich bleibt mir eine Minute der Stille und des besinnlichen Schweigens, in der wir des Franz gedachten. Solch ein Schweigen kann mehr sein als vieles Reden, man meinte seinen Herzschlag zu hören, so still war alles. Seitdem sind wieder einige Gefallene zu beklagen: Adolf Höschler Unter Birnen, Walter Ingennnerf und Rudolf Heinen Stübenrath von Akazienweg und jetzt ein Paul Hanis. Sie mögen ruhen in Frieden, ich weisz nicht, ob Du welche von diesen kennst.

Die Gestapo hat mir 600 RM zudiktiert, die ich auf ein Sperrkonto einzahlen musste, weil Kaplan Küppers Erlebnisse aus Afrika in der Jugendstunde erzählt hat. Dies galt als nicht rein religiös. Wenn bis zum 1 Juli 1944 keine weiteren Verstösse vorliegen, bekomme ich das Geld zurück, sonst verfällt es zu Gunsten der NSV.

Sonst ist augenblicklich hier alles still. Alles ist in Ferien. Die Bänke sind sonntags ordenlich leer. Kinder sind fast überhaupt nicht mehr da. Von Alarm bleiben wir auch ziemlich verschont. Nur das Wetter ist trüb, meist fast herbstlich kalt, und dabei soll doch Hochsommer sein. Hoffentlich übersteht Ihr dort den Winter gut. Hubert Zingsheim war hier in Urlaub. Er hat vom vorigen Winter Erfrierungen mitgebracht, die allerdings recht gut geheilt sind. Er kann wieder marschieren und laufen wie ein Gesunder.

Ich wünsche Dir und den Kameraden alles Gute! Meine und unsre Gebete begleiten Euch vorne am meisten. In steter Treue bin ich

Dein