Kaplan Stiesch an Josef Meurer, 19. Juli 1942
19. Juli 1942
Lieber Herr Meurer!
Ganz erstaunt bin ich, daß Sie schnell die Ruhr überstanden haben, während andere damit solange herumlaborieren. Hoffentlich sind sie auch ganz wiederhergestellt! Auf Hans Kreuser warten wir alle gespannt schon ein paar Tage lang. Vor einer halben Woche kam aus Berlin ein Telegramm: Komme, Hans. Aber da ist er noch immer nicht. Es scheint, daß er da in Berlin seinen Bruder Joseph aufgesucht hat. Wie mag Ihnen wohl bei der Hitze zu Mute sein! Hier ist eine geradezu herbstliche Kälte. Den richtigen glühend heissen Sommer haben wir hier immer noch bekommen. Heute morgen war es so kalt, daß ich in der Wohnung den Mantel anlassen musste, um nicht zu frieren.
Augenblicklich bin ich allein da. Der Pfarre[r] ist in Urlaub, in Walgau im Allgäu, wo er auch im vorigen Jahr gewesen ist. Kaplan Fröhlich ist krank. Er hat ein Geschwür am 12 Finger Darm und liegt in der Schönsteinstrasse. Gestern waren wir bei ihm und haben Skat gespielt. Ihm macht das viel Spaß. Er sagt wie ein Pater Chrysosthomus Schulte, das wäre keine verlorene Zeit, wenn man Skat spielt, nur die Zeit, wo man die Karten mischt.
Die kleine Hannelene sehe ich auch immer wieder, manchmal vom Altar aus, wenn Ihre Frau solo von der Orgel aus das Requiem singt. Gestern traf ich die beiden auf der Venloerstrasse in Ehrenfeld. Ihre Frau kaufte grade ein, und Hannelene machte ein mürrisches Gesicht und wollte nicht am Händchen gehen, sie kam immer drei Schritte hinterher. Ihre Frau erzählte, sie wäre böse, weil sie in der Strassenbahn Haue bekommen hatte. Sie hatte immer an einem Aschenbecher spielen wollen und Ihre Frau hatte es verboten. Schließlich hatte die Kleine den Aschenbecher umgekippt und die Asche fiel auf den Boden. Und dann kam die Strafe wie ein
Naturereignis hinterher.
In der Pfarre sind leider wieder einige Gefallene zu beklagen, so der Adolf Höschler Unter Birnen, dann ein Walter Ingennnerf und ein Rudolf Heinen Stübenrath vom Akazienweg und ein Paul Kanis von den Bergamotten. Ich weiß nicht ob sie sich der Betreffenden erinnern. Der Herr gebe ihnen die ewige Ruhe. Morgen spielt Herr Engelskirchen Orgel. Er freut sich schon ordentlich drauf. Gestern abend waren wir probehalber schon mal oben. Vorigen Sonntag hat ein Musikschüler aus Köln Mühlheim gespielt, den wir zufällig kennen gelernt haben. Er heißt Dieter Sauret, ein echter Musiker, Schüler von Bachem. Er spielte sehr sauber Bach. Er erzählte daß seine Großeltern schon Musiker waren, der Großvater Geiger. Er muß einen Namen haben in der Musikgeschichte. Leider habe ich keine da. Seine erste Gattin war die berühmte Terese Carenno, eine Vorläuferin unserer Elly Ney. Er stammt aber von der Kindern aus zweiter Ehe ab. Bei uns haben wir Kaffee getrunken. Dann kam Josef Müller und wir haben noch etwas musiziert, Geige bzw Orgel und Klavier. Ich spiele jetzt öfter mit Josef Müller zusammen und wir haben immer viel Freude, wenn wir mit dem selben Takt am Schluß auskommen. Jetzt ist er in Ferien. Er sagte, er hätte Ihnen auch schon geschrieben und er würde sich über einen Gruß von Ihnen sehr freuen. Vielleicht schreiben Sie ihm mal wenigstens eine kurze Karte. Dann ist er stolz und hat neuen Eifer. Wir spielen zusammen leichte Stücke von Händel. Hoffentlich lernen wir tüchtig, daß wir bald weiter schreiten können zu anspruchvolleren Sachen.
Daß unsere Glocken weg sind, werden Sie doch schon gehört haben? – Mir hat die Gestapo 600 Rm auf ein Sperrkonto zudiktiert, weil Kaplan Küppers vom Akazienweg bei dem Jugendabend aus Afrika erzählt hat. Das war kein rein religiöses Thema.
Nun hoffe ich, daß Sie bald in Urlaub kommen! Das wäre ja eine Freude wenn wir uns wiedersehen.
In treuem Gedenken bin ich Ihr