Kaplan Stiesch an Ludwig Kreuser, 21. Juli 1942

Rudolf Stiesch   Köln Bickendorf Schlehdornweg 1

21. Juli 1942

Lieber Herr Ludwig Kreuser!

Vielen Dank für Ihren Brief vom 14. Juli. Sie sind ja ordentlich niedergeschlagen. Vielleicht darf ich Ihnen einige Adressen geben von Bonner Freunden und Verwandten. Sie haben doch sicher öfter mal Ausgang und dort finden Sie dann ein gastliches Haus: Kaplan Joseph Schülpen: Hertzstraße. Sie gehen die Kaiserstr durch und dann die Schumannstr bis zur Elisabethkirche, die mächtige neue weisze romanische Kirche im Süden der Stadt ist das. Diesen Kaplan Schülpen kenne ich schon seit 1929 und wir sind befreundet. Er spielt Klavier und sehr gut Orgel. Er wird sie auf die Orgel mitnehmen und Ihnen alles zeigen. Die Kirche hat schöne Originalbilder von Schiestl in kostbaren reinen Farben gemalt. Bei dem Kaplan wohnt sein Vater, der jetzt wieder den Küsterdienst an Elisabeth tut. Er war schon länger in den Ruhestand getreten.

Ferner wohnen da zwei ältere sehr freundliche Fräuleins, entfernt mit mir verwandt durch meinen Schwager: Geschwister Künz: Rosental 13 1etg. Auch die werden Sie sehr freundlich begrüssen. Das ist neben dem Johannishospital, Ecke Heerstr und Kölnstr. Sagen Sie ihnen, wenn sie Ihnen nicht einen feinen Kaffee aufschütteten, dann kämen sie in den Kirchenbann. Das wird ziehen. Die Damen haben viel Paramentstickerei betrieben.

Dann ein sehr feiner Mann: Professor Vogels: Argelanderstr 49. Bei ihm habe ich die neutestamentliche Wissenschaft studiert. Er lud seine Seminarschüler jedes Jahr einmal ein. Diejenigen die gerne Thee tranken, kamen in einen besonderen Raum und das waren die Theisten. Die andern, die lieber Wein tranken, kamen

in einen anderen Raum und das waren die Atheisten. Er erzählte manchmal von seinen Kriegserlebnissen als Feldgeistlicher während des Weltkrieges. Er ritt dann und hatte eine Pfarre so grosz wie den Regierungsbezirk Köln. Und beim Donner der Kanonen draussen trieb er seine gelehrten Studien weiter auch später noch, während der kommunistischen Unruhen in München. Aus Strassburg musste er nach Kriegsende fliehen. Er hat von allen Professoren den tiefsten Eindruck auf mich gemacht.

Nun hoffe ich, dasz Sie der Anregung folgen. Mein Vetter hat es genau so gemacht und ist so in Braunsberg bei Professor Schäfer bekannt geworden und immer noch stehen sie in gelegentlichem Briefwechsel. Und für sie ist es angenehm einen Ort zu haben, wo sie schon mal zu Hause sein können.

Da hätte ich beinahe noch eine durch meinen Onkel verwandte Familie vergessen: Schmitz Cassiusgraben, vom Bahnhof aus gesehen das vierte Haus etwa auf der rechten Seite. Die Nummer weisz ich leider nicht. Der Opa war Polsterer und Dekorateur, sie werden sicher ein Firmenschild finden. – Und dann gehen Sie auch mal in Beethovens Geburtshaus auf der Bonngasse gleich am Markt. Das ist sicher eine unvergessliche weihevolle Stunde. Leider werden jetzt viele Kostbarkeiten in Sicherheit gebracht sein. Aber den Eindruck der Räume werden Sie doch haben. Und auf dem alten Friedhof nicht weit vom Bahnhof haben Sie eine Fülle interessanten Gräber, das von Beethovens Mutter, von Angehörigen von Schiller und Richard Wagner, von Robert Schumann und seiner Gattin Klara Wieck und vielen andern. In Bonn habe ich 1929 – 1933 studiert und das waren ohne Zweifel in vieler Beziehung die schönsten Jahre meines bisherigen Lebens. Vielleicht können wir uns mal treffen? Wenn Sie jetzt Urlaub haben sind Sie herzlich willkommen. Ich muss Ihnen noch manches erzählen. Jetzt kann ich hier schlecht weg, bis Anfang August. Der Pfarrer ist in Urlaub und Kaplan Fröhlich ist krank. So bin ich allein.