Willy Winterscheidt an Kaplan Stiesch, 30. Juli 1942
Im Felde, den 30. July 1942.
Lieber Herr Kaplan!
Leider konnten wir uns in meinem Urlaub nicht mehr sehen und sprechen. Ich hatte in der kurzen zeit allerhand zu erledigen und musste die übrige Zeit auch meinem l. Vater widmen, der ja nun durch den Tod meiner lieben Mutter ein einsamer Mann geworden ist und der ja nun seine einzige Hoffnung und Freude noch an seinen Kindern hatte. Ich brachte es wirklich nicht fertig, ihn da auch nur länger wie eine einzige Stunde unnötig alleine zu lassen. Sie werden das hoffentlich verstehen und daher mein Fernbleiben entschuldigen.
Sie können sich wohl vorstellen, wie sehr ich unter dem Tod meiner lieben guten Mutter gelit-ten habe. Die Nachricht kam zu plötzlich und unerwartet und ich hatte noch nicht einmal den Trost, sie auf ihrem letzten schweren Gang begleiten zu dürfen. Dass ich eine herzensgute Mutter hatte, brauche ich Ihnen wohl nicht extra zu schreiben. Für mich war es die beste Mutter der Welt. Da habe ich mich nun über ein ganzes Jahr lang Tag für Tag auf ein glückliches Wiedersehn mit ihr gefreut, habe es mir täglich in den herrlichsten Farben ausgemalt! Und dann kam es so. Der .Herr-
gott hatte es anders beschlossen. Da fällt es einem schon schwer, zu sprechen. „Fiat voluntas tuas“. Und doch: Den einzigen Trost finde ich im Glauben in der Hoffnung auf ein einstiges Wiedersehn dort oben, Mutter hat nun ihren Frieden, den sie sich ihr ganzes Leben lang erhofft hat. Sie ist nun dort wo unser aller Ziel ist. Weit ab von den Schre[cken] dieses Krieges, weit ab von den Nöten dieser Welt. Wie heisst es doch so schön in der Totenpraefation: „Deinen Gläubigen“ Herr kann ja das Leben nicht genommen werden, es wird nur neu gestaltet und wenn diese Herberge ihres Erdenwollens im Staub zerfällt, dann steht ihnen eine ewige Heimat im Himmel bereit.“ Ich werde meine Mutter nie vergessen und in allen Fragen und Schwierigkeiten meines künftigen Lebens soll meine erste Frage lauten: „Was würde Mutter dazu sagen?“.
Ich selbst liege nun schon wieder über 4 Wochen mit meiner Batterie in vorderstem. Zu-erst haben wir einen kleinen Vormarsch mitgemacht. Jetzt liegen wir an einer festen Front und haben uns hier eingegraben. Sogar unsere schweren Geschütze haben wir tief in die Erde eingegraben. Man munkelt davon, dass dies schon unsere Winterstellung geben soll. Wer weiss! Ich selbst bin meist auf B-stelle meiner Batterie. Diese befindet sich direkt im vordersten Graben der Infanterie. Wir liegen hier mit noch 5 anderen B-stellen auf einer An-höhe und bekommen daher auch täglich oft starken Beschuss. Bis heute hat aber noch alles gut gegangen und ich habe das feste Vertrauen zu meinem Heiland, dass er mich auch weiter unter seinen starken Schutz nimmt. Nun grüsse ich Sie recht herzlich nebst vielen Grüssen an alle grossen und kleinen Kameraden von St. Dreikönigen und vor allem an die Messdiener. Gedenken Sie meiner im Gebete und beim hl. Opfer und beten Sie bitte auch ein wenig mit für die Seelenruhe meiner lieben Mutter. Heil und Gruss
Ihr Willy