Kaplan Stiesch an Hans Eiermann, 31. Juli 1942
Rudolf Stiesch Köln Bickendorf Schlehdornweg 1
31. Juli 1942
Hans!
Für Deine Zeilen aus dem Osten recht herzlichen Dank. Ich war ja platt, als ich hörte, dasz Du auch schon dort bist. Und ich hatte doch gehofft, Dich mal in Uniform hier zu sehen. Die Reihen hier lichten sich immer mehr. Letzte Woche ging Willi Krautz weg, davor Hans Werres, Peter Pehl ist auch schon im Osten ebenso Peter Haas. Hans Meiers liegt mit einer Beingeschichte im Lazarett in Diedenhofen Huber Gülden ist bei der Artillerie im Osten und Edmund Zingsheim ist im RAD im Osteinsatz. Das ist schon eine ganze Schar und ich hoffe, dasz wir uns alle mal Gesund und froh wiedersehen.
In den letzten Wochen habe ich manches verschiedenartige erlebt. Mehrmals muszte ich zur Gestapo mit dem Endresultat, dasz ich 600 RM auf ein Sperrkonto einzahlen muszte, das heiszt, das Geld bleibt mein Eigentum falls bis zum 1 Juli 1944 keine weiteren Verstösse vorliegen, sonst verfällt es zu Gunsten der NSV. Der Massnahme zugrunde lag die Tatsache, dasz Kaplan Küppers vom Akazienweg im März an einem Abend unter den Jungen von Afrika erzählt hatte. Dieses Thema galt als nicht rein religiös.
Zweimal war ich im Theater in Romeo und Julia von Shakespeare und in Kabale und Liebe von Schiller. Beides hat mich in tiefster Seele gepackt. Wir hatten das Schillersche Stück in der Schule gelesen, aber davon hatte ich doch nur eine sehr gelangweilte und trockene Vorstellung. Ich war ganz erstaunt, wie hochdramatisch und bühnenwirksam das Stück gespielt wurde. Und ich habe es sehr bedauert, dasz ich damals in den Schuljahren nicht öfter ins Theater gegangen bin. Das Interesse für die dramatische Dichtung blieb dadurch ganz ungeweckt. Man würde später so manches anders machen.
Und doch sagt man sich, dasz es andererseits gut war, dasz alles so gekommen ist, wie es gekommen ist. – Viele schöne Stunden erlebe ich jetzt mit Josef Müller zusammen. Wir spielen zusammen leichte Stücke Händel für Violine und Klavier. Und das macht eine ganz ungeahnte Freude. Das ergänzt sich so wunderbar.
Unsere Heimstunden haben wir letzten Montag wieder begonnen nach der langen Sommerpause. Ich hoffe, dasz aus der Zusammenarbeit dieses Winters etwas Erfreuliches erblüht. Wir haben mit der Darstellung des Lebens des hl Paulus begonnen. Ich stellte seine Jugend da, die in Tarsus sich abspielt auf der Grenzscheide des griechisch weltweiten und des hebräischen Geistes der Offenbarung. Sehr viel Anregung gibt das schöne Paulusbuch von Josef Holzner. Wenn Du es später mal liest, wirst Du die darauf verwendete Zeit sicher nicht bereuen.
Und wie geht es Dir augenblicklich? Hast Du was zu lesen? Der Professor Clemen erzählte immer, während der langen Wartestunden des Weltkrieges habe er ein kleines Bändchen Goethischer Gedichte hervorgeholt und daraus auswendig gelernt. Und noch heute schöpfe er aus dem Schatze der Dichtung, der ihm damals Eigentum geworden sei. Rudi Conin erzählte mir etwas ähnliches. Auf Wache summe er immer wieder die alten Lieder und dann sei er wieder wie neu erfrischt und beschenkt.
Nun wünsche ich Dir alles Gute! Komm gesund nach Hause!
In steter Treue Dein