Willy Winterscheidt an Kaplan Stiesch, 27. August 1942

Im Felde, den 27. August 1942

Lieber Herr Kaplan!

Liebe Kameraden!

Ihren lieben Brief vom 12. August 1942 erhielt ich gestern. Ich habe mich sehr gefreut und danke auch recht herzlich. –

Allen Kameraden Heil und Gruss zuvor! Ich freue mich immer von Euch und Eurem Leben in der Pfarre etwas zu hören. Noch mehr würde ich mich freuen, hin und wieder von einem ein-zelnen persönlich mal etwas zu hören. Ich werde gewiss wieder schreiben.

Heute will ich Euch mal ein kleines Erlebnis des gestrigen Tages schildern, das für mich und viele andere Kameraden wohl mit zum schönsten Erlebnis der vergangenen Zeit wurde. Es ist dies kein Erlebnis, erfüllt vom Kampfgeschrei und Kanonendonner, sondern das

schöne Erlebnis eines Feldgottesdienstes an der Front. –

Für gestern Nachmittag hatten sich die Feldgeistlichen der beiden Konfessionen bei der Abteilung angemeldet. Für 17.00 Uhr wurde der Gottesdienst festgelegt. Ich selbst freute mich darauf, wie ein kleines Kind sich auf die Weihnachtsbescherung freut. Zu meinem grössten Erstaunen meldeten sich von meiner Batterie, obwohl der Gottesdienst in die Freizeit fiel und obwohl jeder wusste, dass der Batteriechef es nicht gerne sah, bei weitem die meisten. In den anderen Batterien mit Ausnahme von einer, war das Ergebnis das Gleiche. In einem grossen Obstgarten, in der Mitte zwischen zwei riesigen Birken, deren Weiss wie zwei grosse Osterkerzen leuchteten, wurde der schlichte Altar aufgebaut. Wir stellten uns im Karrée um den Altar. Zuerst wurde dem Feldgeistlichen, der ja im Offiziersrange steht mit Blickwendung die Stärke gemeldet. Zu Anfang richtete er einige kurze aber feine Worte an uns, die jedem zu Herzen gingen. Sodann hielten wir eine

gemeinsame Gewissenserforschung, nach der jeder für sich im stillen seine Sünden und Fehler bekannte. Ein kurzes Reuegebet und der Vorsatz zur Besserung. Sodann erteilte er uns die Generalabsolution, eine Sonderabsolution, die nur für den Ausnahmezustand des Krieges an der Front gültig ist. Sodann begann schlicht und einfach und doch für einen jeden so herrlich und feierlich das heilige Opfer. Unwillkürlich wurde jeder in die Heimat zurückversetzt. Wir sangen und beteten gemeinschaftlich. Ich kann es gar nicht beschreiben, wie das klang und war. Noch stand der Schrecken vergangener Kampftage auf vielen Gesichtern. Von ferne her hörten wir noch die Einschläge der russischen Artillerie. Dann kam der schöne Augenblick der hl. Wandlung. Als der Priester dann den Leib des Herrn in die Höhe hob, da fiel wie auf Kommando alles nieder auf die Knie und betete ihn an. Ob das nun Männer waren mit K. I oder Sturmabzeichen oder sonstigen hohen Auszeichnungen. Hier waren sie alle gleich.

Als ich dieses Bild sah, dachte ich unwillkürlich an jene, die immer behaupten, diese „Knierutscherei“ wäre den Deutschen nicht würdig. Ich glaube das bedarf hier keiner weiteren Worte. – Und danach kam dann noch der schöne Augenblick der Vereinigung aller am Tische unseres Herrn. Keiner schloss sich davon aus.-

Froh und leichten Herzens ging es dann nachher wieder in die Quartiere, den Heiland im Herzen und unser Gebet und unsere Bitte an Ihn war: „Herr bleibe bei uns auch in den kom-menden Tagen des Kampfes. Herr beschütze unsere Lieben in der Heimat“. Durch den ziemlich grossen Wirkungskreis eines Feldgeistlichen, ist es leider nicht möglich, diesen Got-tesdienst allzu oft anzusetzen. –

Wie traurig ist es aber dann, wenn zu hause, wo dieses grosse Glück doch täglich gegeben, meist achtlos darüber hinweggesehen wird.

Für heute will ich schliessen. Frohe Grüsse an alle bekannten und unbekannen Kameraden und besonders an die Ministranten. Heil u. Gruss!

Euer Willy Winterscheidt