Jochen Soddemann an Rudolf Stiesch, 13. September 1942
Holland, am Sonntag [13 Sept 1942]
+Rudolf!
Von Daheim erfahre ich, daß du schon wieder krank daniederliegst. Hoffentlich ist es nichts Ernstliches. Jedenfalls nimm meinen besten Wunsch um baldige Gesundung. –
Aus den erhofften Urlaub ist bisher noch nichts geworden – nun taucht neue Hoffnung vor uns auf: Seit gestern ist die Urlaubssperre, die uns nunmehr schon seit über drei Monate festhielt, zu Ende. In spätestens einem Monat hoffe ich auf ein Wiedersehen, worauf ich mich riesig freue.
Was Du über Frenssen schreibst, habe ich nicht ganz verstanden. ‚“Prophet des liberalen Bürgertums“ Er verwirft doch gerade dies und mit ihm – ein trauriges Zeichen für jenes – das Christentum voll und ganz. Nannten sich nicht gerade jene behäbige und satten Bürger jener Zeit, deren Religion die Anstandsregel war, Christen, Christen, gegen die Nietzsche – von hier aus gesehen – in nur allzu gerechtem Zorn sich Luft machte.
Es liegt in Frenssens Büchlein etwas von der ewigen deutschen Häresie des
werdenden Gottes, des „Den Anfang war die lat“ (???) des Faust, des faustischen Menschen. Diese Idee ist uralt und steckt, so glaube ich, auch ein wenig in Meister Eckehardts Gedanken. Sonst könnten Rosenberg und andere ihn nicht so missverstehen.
Zu dem Plato: Das Heftchen hat mri Freude gemacht, war doch der Plato und sein Staat mir als Aufgabe für mein Wahlfach, das Griechische gestellt. Mit großer Freude habe ich damals einen großen Teil übersetzt. Diese Reklamausgabe scheint mir eine
sehr einseitige Übersetzung, manche der Gedanken klingen verblüffend neu. Doch mit dem gleichen Erfolg ließen sich, so glaube ich, auf solch engem Raum auch gegenteilige Gedanken zusammenpressen. –
Zu Deinem Vorschlag kann ich nur ja sagen: Es wird wohl selten jemand in seiner Dienstzeit soviel Zeit zum Lesen finden wie ich. Vielleicht kann ich Dir Manches zur Verfügung stellen. Was treibt Ihr Daheim noch? Von den Kerlen höre ich nichts.
Heil Allen und Frohgruß
Jochen