Kaplan Stiesch an Willy Winterscheidt, 18. September 1942
Rudolf Stiesch Köln Bickendorf Schlehdornweg 1
18 September 42
Willi!
Gestern kam Deine Karte vom 6 September an und so haben sich unsere Nachrichten ge-kreuzt. Bei den langen Wegen und Laufzeiten ist das ja kein Wunder aber das schadet ja auch nichts, ich freue mich immer von Dir zu hören und umgekehrt ist es hoffentlich auch der Fall. Rudi Conin ist jetzt im hohen Norden am Eismeer und schreibt, dasz seine Sehnsucht erfüllt sei: Finnland Du mein Heimatland, wie wir früher gesungen haben. Peter Haas ist jetzt in Giessen. Er war kurze Zeit in Krosno in Polen. Er war letzten Sonntag in Urlaub. Überall merkt man Euer Fehlen. Peter Haas vermisse ich sehr wegen des Singens. Jetzt ist kein Mensch mehr da, der ordentlich singen und Kampfe spielen kann. Und das ist doch sehr fühlbar. Das Lied vom Schlachtenlenker am letzten Sonntag hat auch noch keineswegs be-friedigend geklappt. Ich lege Dir den Text einmal zu (von Franz Ley, Melodie von Karl Heinz Hodes).
Zwei der besten aus der jungen Pfarre sind wieder zu beklagen: Rudolf Silckeroth und Harald Breuning. Ich konnte es erst gar nicht glauben, dasz diese frischen und lustigen und lebendigen Kerle nun nicht mehr unter uns sein sollen. Wie werden wir später noch manche Lücke schmerzlich spüren! Für den Bruder hat der Pater Breuning das Amt selbst gehalten. Die Kirche war sehr voll, weil die Familie in der Pfarre ja so weit bekannt ist. Und eben haben wir das Amt für den Rudolf gehalten. Sie sollen ruhen in Gottes hl Frieden.
Von den Jungen wirst Du wohl auch bald einen Brief bekommen. Ich habe gestern einem Deine Adresse gegeben.
Wo kommst Du denn hin? Etwa auch nach Afrika, wie mein Vetter Konrad, der vor Leningrad so grausige Sachen erlebt hat und
dann verwundet worden ist?
In den nächsten Stunden der Obergruppe werden wir uns wohl Goethes Faust zu-wenden und ihn von unserer Weltanschauung aus durchsprechen. Ich verspreche mir sehr viel Anregung aus dieser Aufgabe und hoffe, dasz die Jungen so interessiert mitgehen, wie bei dem Pauluszyklus. Wenn Du später mal Gelegenheit hast, das Paulusbuch von Holzner zu lesen, so musst Du das tun. Du wirst die darauf verwandte Mühe reichlich belohnt finden.
Am Mittwoch Abend war ich bei Fam Silckeroth kondolieren. Inzwischen gab es Alarm und so habe ich dort eine ganze Zeit im Luftschutzkeller zugebracht. Wie merkwürdige Notwendigkeiten, an die früher kein Mensch gedacht hätte. Schade, dasz ich mit Rudolf nie in brieflichen Konnex gekommen bin. Ich habe ihm geschrieben und er hat mich wiedergrüssen las-sen, aber leider nicht die Musse gefunden, mir einmal eigens zu antworten. Nun ist das bei solch grossen Familien leicht erklärlich. Er hatte ja kaum Zeit, all seinen vielen Geschwistern zu schreiben.
Franz Karl Werner tut leider nicht mehr mit, seine Gruppe hat daher Hans Dahm übernehmen müssen. Allmählich spürt man den Führermangel und so halten wir alle 14 Tage Diakonat um neue Führer heranzubilden. Hoffentlich gelingt das Werk gut. Wir haben ja so unendlich grosse Aufgaben vor uns, allein wenn ich an das Liedgut denke, was einmal unser Eigentum werden soll. Ich habe mal tüchtig Kirchenliederhefte angeschafft und hoffe, dasz die so leichter gelernt werden, wenn die Jungen selbst ein Heft haben.
Nun sei in alter Treue herzlich gegrüsst von Deinem