Hubert Gülden an Kaplan Stiesch, 23. September 1942
Im Osten, 23. 9. 1943
Werter Herr Kaplan!
Hier ist nun seit ein paar Tagen Ruhe eingetreten und man kann endlich noch einmal daran denken, einen Brief zu schreiben und all’ den Verwandten und Bekannten ein paar Worte zukommen zu lassen.
Wir liegen noch immer in dieser unwirtlichen Steppe und hoffen allerdings täglich darauf, in einer anderen Gegend eingesetzt zu werden. Die unendliche Steppe, in der kein Tier zu leben vermag, sie wirkt auf die Dauer bedrückend auf die Seele der Menschen, die aus der lebendigen und lebensatmenden Landschaft Europas kommen. Wer hier in diesem Land monatelang gewesen ist, der kommt auch der russischen Volksseele näher, denn in diesem Land, da kann es einfach keine frohe Menschen geben, da gibt es nur Menschen, die stumpf und stur ihre Zeit dahinleben und die sich auch nicht mehr durch bestandene äußere Umstände beeindrucken lassen. Der russische Mensch dieser Landschaft ist innerlich tot, das ist so der Eindruck, den man hier gewinnt.
Hier ist nun der Herbst ins Land gezogen und der kommende Winter kündigt sich schon mit Nachtfrösten an. So wie man nach vor kurzer Zeit die glühende Sonne verflucht hat, so sehnt man sich heute nach ihren Strahlen, die jedoch schon alle Gewalt verloren haben. Es wird jetzt hier für uns Zeit, dass wir in feste Winterquartiere kommen, denn Tag und Nacht draussen, das wird langsam schon un-
gemütlich.
Ich bin nun auch Gefreiter geworden und habe somit die erste Stufe zum General erklommen! Lieber wäre mir allerdings der Entlassungsschein, aber den wird es wohl in den nächsten Jahren noch nicht geben. Es bleibt da nichts anderes übrig, als zu warten! Das Sprichwort sagt wohl „Die Hälfte Zeit seines Lebens, wartet der Soldat vergebens“, aber einmal muß doch das Ende dieses Krieges kommen und einmal muß auch unsere Entlassung kommen.
Gesundheitlich kann ich von mir den Verhältnissen entsprechend das Beste berichten und ich erhoffe auch von Ihnen alles Gute; denn gerade in jetziger Zeit ist die Gesundheit von größter Wichtigkeit.
Für heute dann recht herzlichen Gruß
Ihr Hubert Gülden