Hans Werres an Kaplan Stiesch, 25. September 1942

O. U., den 25. Sept. 1942

Lieber Herr Kaplan!

10 Tage habe ich Sie jetzt warten lassen; es wird Zeit, dass ich Ihnen Antwort schreibe. Ich habe eine neue Unterkunft bezogen, südlich der bisherigen in einem anderen Lande. Es gefällt mir hier in vielem besser, z.B., dass wir nur zu zweien auf der Stube liegen. Auch mit der Freizeit ist es besser. Ich komme nun auch endlich einmal zum Lesen.

In wenigen Tagen feiern wir wiederum Michael. Unter welchem Zeichen steht das diesjährige Fest? Wie wollt Ihr es feiern? Durch die Versetzungen ist die Verbindung mit vielen Kamera-den abgerissen. Ich hätte gern h. O. Mundorfs Adresse. Stimmt es, dass Rudi Silckeroth ge-fallen ist? Daß es nun endlich feststeht, dass Fritz Kreuser gefallen ist?

Für das Schriftchen danke ich recht herzlich. Ich habe schon mit dem Lesen begonnen und es gefällt mir soweit ganz gut. Wie gesagt ist die Idee ganz gut vielleicht wäre es möglich, dass hier die Kameraden sich auf irgendeine Weise beteiligt. Sei es, dass sie über den Inhalt sich unterhalten oder dass sie geldlich beisteuern, oder

auf dem Heimabend besprechen. Reclam hat ja eine Fülle Stoff in seiner Bücherei.

Einer der Kameraden (Niederwipper) hat mir schon geschrieben, aber erst, nachdem ich ihm zuerst schrieb. Nur kurz einen Gruß; er erwarte seinen Gestellungsbefehl stündlich (immer noch!) Von der Arbeit – nichts. Tut er nicht mehr mit? Was wird denn sonst unternommen? Die vormilitärische Ausbildung ist doch jetzt zu Ende?

Beim Durchlesen sehe ich gerade den Zusatz in Ihrem Brief. Also ist Rudi Silckeroth doch gefallen. Das berührt mich tief. Haben wir doch viel zusammen erlebt. Wenn er auch nicht so mittat, wie ein Franz Ley oder sonst einer, so war er doch oft dabei und zumal manch ge-meinsame Fahrt mit ihm ist mir noch in Erinnerung. Josef Kreuser hat hier viel Aposteldienst geleistet, das darf ich wohl hier offen sagen. Denn das Elternhaus war nicht ganz einwandfrei, so viel ich weiss. So nimmt einer nach dem anderen Abschied. Am tiefsten hat mich ja die Nachricht von Fritz Kreusers Tod berührt. Wir hatten schon so etwas Freundschaft geschlossen. Gemeinsame Pläne, gemeinsame Zukunft hatte uns zueinander geführt. Beinahe wäre er in meine Klasse gekommen. Leider wurde er eingezogen. Wie furchtbar für die Familie! Doch wenn ich es so bedenke: ich kannte kaum einen gläubigeren jungen Christen, als ihn. Er hatte eine tiefe, echte Frömmigkeit, die auch aus seinen Briefen leuchtet, deren ich eine Reihe besitze! Nun, Fritz ist ja unter den Jungen einigermaßen bekannt. Er wäre sicher ein guter Priester geworden. Über eine solche Widersinnigkeit des Schicksals hilft nur unser Glaube

hinweg: Das ist der Sieg…. Unser Glaube!

Haltet Ihr eine Gedenkstunde für beide? Und wann waren die Exequien?

Ab 1. Oktober ist die Urlaubssperre aufgehoben. Dann kommen zuerst die Landwirte und ähnlichen Berufe dran, dann die übrigen; davon wieder zuerst die Verheirateten. Es wird noch November/Dezember werden, wenn der Zufall es nicht früher will.

Noch einmal zu den Schriftchen: Das Ihrige habe ich nicht ganz gelesen. Nur die 2. Erzählung, weil sie mir besser gefiel, als die erste. Zum 2. kam noch, dass ich packen musste und daher alles Überflüssige heimschickte. Vielleicht schicken Sie mir das Heftchen später noch einmal. Dann zum 2. Heftchen: Das Gesicht im Nebel. Das hat mir nun wieder ganz gut ge-fallen. Wenn sie es noch nicht kennen, so rate ich Ihnen, es doch einmal zu lesen. Es hat in mir etwas Heimatliches geweckt, so das Gefühl: auch du findest einmal wieder ein Zuhause vor und zwar – ein besseres, als du verlassen. Denn, das steht für mich fest: Familie u. Heim lernt man draußen schätzen. – Vielleicht schicken Sie mir einmal etwas von Stifter u. dergl. Wenn die Gaben kommen, können Sie mir ja die Lützeler Bändchen schon zuschicken. Ich habe hier durch Zufall Lützelers Kunst der Völker bekommen und auch schon eifrig drin gelesen. Im Soldatenheim hier sah ich am Bücherstand auch diese Lützelerbändchen ausge-stellt neben: „Jede Woche ein Roman“ (!) Hier scheint es noch manch Gutes zu geben. Wenn ich erst mal Ausgang habe, wird mein Geld auch schnell

flüssig sein.

Eben habe ich – um von etwas anderem zu reden – mit Genuß ein Pfund – oder, wie es hier heißt, ein halbes Kilo – Weintrauben verspeist. Zuckersüß! Es war, wie gesagt, ein Genuß! Raten Sie, was ich dafür zahlte? -.38 M Vorgestern habe ich sie noch billiger gegessen: für -.16 M das Kilo! Neben dem geistigen muß es auch solche Genüsse geben.

Für die Besorgung einiger schöner Spruch + Kunstkarten wäre ich Ihnen sehr dankbar. Vielleicht geben Sie meinem Bruder einmal einen Tip; er weiß nicht, wo er welche bekommt.

Ich habe die Wand über meinem Bett wie folgt ausgeschmückt: oben eine Karte: Bamberger Reiter (Kopf) darunter treppenförming: Kopf Adams aus der Erschaffung von Michelangelo, darunter ein Wort von Rilke über: Liebe zu den kleinen Dingen. Rechts Gottvater aus der Erschaffung v. M.

Ein interessantes Heftchen; sehr geeignet zur Diskussion eines Heimabends fand ich in der alten Abschrift. Vielleicht lassen Sie es sich einmal von meinem Bruder zeigen. Ich habe es vor kurzem mit noch einigen Schriften umgeschickt. Überschrift weiß ich nicht mehr. Es ist weiß, von Egger geschrieben, Inhalt: Der Glaube des Soldaten oder so ungefähr. Es lässt sich da gut manches klarstellen.

Nun wünsche ich Ihnen und allen Kameraden weiterhin alles Gute für die Arbeit am Reiche Gottes

Heil! Hans Werres