Willy Winterscheidt an Kaplan Stiesch, 21. Oktober 1942
Im Felde, den 21. Oktober 1942
Lieber Herr Kaplan!
Heil und Gruss Ihnen und allen Kameraden von St. Dreikönigen zuvor. Seid[t] meinem letzten Brief ist nun schon eine ganze Zeit lang verstrichen. Inzwischen sind 2 Briefe von Ihnen angekommen und ein Rundbrief von den Kameraden, den ich aber vor einige Zeit schon mal erhielt. Sie müssen entschuldigen, wenn ich jetzt erst schreibe, aber wir waren die letzten 14 Tage dauernd unterwegs. 2 mal sind wir verladen worden. Nun sind wir vor einigen Tagen endlich im Raume von Rscheno gelandet und liegen hier auch schon wieder im Einsatz. Es war furchtbar die vergangenen Tage und wenn ich nicht das feste Vertrauen zum Heiland gehabt hätte, es wäre mir gewiss nicht so leicht gefallen. Stunden habe ich hinter mir, in denen ich glaubte, die Heimat nicht wieder zu sehen. Und doch hat der Herrgott mir immer wieder geholfen, für mich sichtbar geholfen. In den vergangenen 8 Tagen war ich mit als vorgeschobener Beobachter meiner Batterie im Graben der Infanterie. Dort war eine zeit lang die Hölle. Von morgens früh bis abends später schoss der Russe in gewissen Abständen zu uns herüber. Bei uns im Grabenabschnitt lagen 30 Infanteristen, die innerhalb von 4 Tagen 7 Ausfälle an Toten und Verwundeten hatten. Der Wachtmeister, der mit mir zusammen oben war, wurde durch einen Volltreffer in den Graben verwundet.
Überall in dem Gelände waren noch die Zeugen der blutigen Kämpft zurückgeblieben, die in der vergangenen Zeit hier getobt hatten. Die Gegend war besät mit Leichen, meist Russen, die schon in Verwesung übergingen und die ganze Luft verpesteten. An die 200 zerschossene russische Panzer waren von unserem Standpunkt aus zu zählen und in fast jedem sassen noch die verkohlten Leichen drin. Bei solchen Anblicken könnte man die Achtung vor dem menschl. Leben verlieren. Schliesslich sind es doch auch Menschen, wenn auch anders geartet wie wir. Und überall wo man hinschaute, immer derselbe Anblick des Grauens. Ich habe meinen Halt und Trost im Gebete gesucht und gefunden, in der persönlichen Aussprache mit Gott. Er hat mich beschützt und ich habe das feste Vertrauen zu Ihm, dass Er mich auch weiterhin beschützen wird. Ich bin nun vorne abgelöst worden und befinde mich in Feuerstellung. Hier ist es bedeutend ruhiger. Wir wohnen in Erdlöchern, die wir uns selbst gebaut haben. Und der Winter steht vor der Tür. Ich weiss nicht, was das noch werden soll. Ob der Russe in diesem genauso aktiv wird wie im Vorjahre. Hoffentlich findet dieser schreckliche Krieg ein baldiges Ende. Auf’s tiefste hat es mich berührt, als ich vom Heldentod Harald Breunings und Rudi Silckeroth erfuhr. Beide habe ich doch persönlich gut gekannt. Gottes Wege sind nicht unsere Wege. Gott möge ihnen nun den Frieden geben, den sie in dieser Welt vergebens suchten. Für uns aber bedeutet ihr Tod Verpflichtung. Ihr Opfer darf nicht umsonst gewesen sein. Es grüsst Sie und alle Kameraden nun im Geiste junger Kirche
Ihr Willy
Anbei das Büchlein zurück. Es gefiel mir gut und freue mich schon auf das nächste.
Schicken Sie mir doch bitte mal ein paar Kerzen oder –stummel. Wir haben hier sonst Tag und Nacht Finsternis im Quartier.