Kaplan Stiesch an Gerhard Schneider, 26. Oktober 1942
26. Okt 42
Lieber Gerhard!
Für Deinen Brief meinen allerherzlichsten Dank. Einen solchen Brief, der unter so schwierigen Umständen entsteht, werde ich natürlich doppelt hoch einschätzen. Und ich habe mich gefreut, dasz Dir das Heftchen gefallen hat und es sogar auch noch andere Kameraden ge-lesen haben. Anbei wieder etwas zu lesen.
Und sehr interessiert es uns alle immer wieder zu hören wie es Euch geht. Wir können es uns gut denken, dasz Ihr viel auszuhalten habt. Peter Pehl hat uns einen ausführlichen Bericht geschrieben, wie er verwundet worden ist. Man hat da eine gute Vorstellung wie es in Russland wohl aussehen mag. Und Hubert Gülden schrieb aus Südrussland. Vor kurzem hat er noch unter sehr grosser Hitze gelitten bis zu 55 Grad und jetzt ist dort eine eisige Kälte.
Gestern war im Dom die Christkönigfeier. Der Bischof selbst hat zur Jugend gesprochen und alle haben wir eine Choralmesse gesungen. Das war natürlich ein grosses Erlebnis eine solch grosze Zahl von jungen Menschen und dann die hellen Stimmen, wie die zu Gottes Lob erklangen. Abends hat hier bei uns Pater Breuning gepredigt. Du wirst ihn sicher auch noch kennen von damals her. Vor einem Jahr war ja ungefähr seine Primiz hier in der Pfarre. Rudi Conin ist in Finnland. Alles ist jetzt in alle Winder zerstreut. Von denen, die damals immer zur Pfarrgruppe gehörten ist eigentlich nur noch Willi Geurtz hier. Er wird wohl vorläufig noch nicht eingezogen werden. Sein Vater ist vor kurzer Zeit gestorben.
In der Pfarrgruppe haben wir eine Reihe von Abenden über den hl Paulus gehalten. Jetzt sprechen wir über Goethes Faust und die
damit zusammenhängenden Fragen. Es sind das ja wichtige Fragen über das Verhältnis des jungen Mannes zum jungen Mädchen und es ist schade, dasz diese Dinge meist so ehrfurchtslos behandelt werden. Ich glaube noch nicht einmal dasz es immer böser Wille ist. Aber viele meinen, sie seien dann erst ganz Mann, wenn sie in dieser Beziehung keine Hemmungen haben. Sie fürchten sich etwas zu vergeben wenn sie eine gewisse Reserve und Ehrfurcht haben genau so wie sie meinen ein Mann könne nicht wahrhaft gläubig sein und für seinen Glauben einstehen.
Heute morgen war eine Messe für den Hans Schneider vom Rotdornweg. Vielleicht kennst Du ihn noch. Er war erst vor kurzer Zeit noch in Urlaub. Es ist gar nicht zu beschrieben, wie viel Leid über manche Familie gekommen ist, dadurch, dasz der Vater oder der Bruder oder sonst ein naher Angehöriger gefallen ist.
Wir beten immer wieder, dasz Gott unsere Soldaten beschützt und uns bald ein glücklicher Friede beschwert werden.
Nun sei herzlich gegrüsst von Deinem