Josef Rick an Kaplan Stiesch, 9. November 1942
Lemgo, 9. November 1942
Sehr geehrter Herr Kaplan,
durch die neuen Verhältnisse, in denen ich z. Zt. Lebe, ist es mir leichter möglich, meiner Post pünktlich nachzukommen. So danke ich Ihnen sehr für Ihren Brief und das liebenswür-digerweise übersandte Reclam-Bändchen. Sobald es gelesen, erfolgt Rückgabe.
Wenn Sie in Ihrem Briefe unsere großen Musiker erwähnen und das Problem ihrer Herein-nahme in das Lied- und Orgelmusikgut unserer Kirchen, so hab ich gerade durch meine Her-forder Erlebnisse angeregt, in letzter Zeit häufiger darüber gesonnen. In Herford nahm ich öfter Gelegenheit, evangelische Gottesdienste zu besuchen und war jedes Mal überrascht und ergriffen über die Würde und den hohen Stand dieser Form. Sprache, Lied, Musik sollen in edelsten Harmonien zum Lobpreis Gottes erklingen, kein Machwerk, keine billige Reimerei neuerer Zeit findet dort Eingang. Die großen Kirchenmusiker, zumal Bach, aber auch Schütz, Gerhard u.s.w. erklingen immer wieder und tragen einerseits die Familie der Andächtigen. Nie hab ich dabei anzumerken – hier ist eine Gottesfeier, die Du ablehnen musst, nein, stets zog ich gegenseitige Parallelen mit einer Vielzahl unserer Gotteshäuser, wo im sakralen
Dienst oft abscheuliche Geschmacklosigkeiten ….. Ich bejahe Bach, Mozart, Händel und alle die alten Meister in unseren Kirchen. Sie empfanden gewiß noch die Einheit der Kirche und ein falsches Herrschaftsbild hat uns nur gegen unsere bessere Meinung einzureden versucht, das passe sich nicht für uns. Was sich nicht passt, das ist jegliche Kirchenmusik zweiten, dritten, vierten Grades, die bei uns zu derartigen Ehren kommen konnte, weil man qualvoll jenes Kostbare nicht sehen wollte und nur zu Männern griff, die gewiß verdienstvolles geleistet haben, darauf eingestuft werden müssen, keinesfalls aber den Vorrang genießen dürfen. Das gilt für das Kirchenlied, für Messen, nicht zuletzt aber auch für Orgelmusik, die viel zu wenig gepflegt und als Solo zu selten in den Gesamtablauf eingebaut ist. Meist muß man doch ins Konzerthaus gehen oder in seinen Plattenschrank greifen, um diese Musik zu hören, die fürs Gotteshaus geschaffen ist. Menschlich viel wäre gewonnen, könnte dieser missliche Punkt überall geklärt und die erforderlichen Korrekturen vorgenommen werden. Denn diese Musik übt ihre Wirkung mit geheimnisvoller Zauberkraft auf jedes Gemüt aus; sie ordnet Gebet und Andacht, öffentliche und private; sie meistert die ihr gebotenen Aufgaben.
Für alle Anregungen und Hinweise wärmsten Dank. Beste Grüße
Ihres
Josef Rick