Kaplan Stiesch an Willy Winterscheidt, 10. November 1942

Rudolf Stiesch     Köln Bickendorf   Schlehdornweg 1

10. November 1942

Am Martinsabend!

Willi!

Für Deine Zeilen herzlichen Dank! Gestern habe ich ein neues Reclamheftchen abgeschickt und hoffe, dasz es Dich interessiert. Leider kann man jetzt ja nur 20 gr Briefe schicken. Eine Kerze hast Du ja wohl hoffentlich durch Fam Ley bekommen. Es war die Rede davon. Ich bin im Drang der Dinge nicht dazu gekommen, ein Päckchen fertig zu machen. Der Vater Geurtz ist nun auch plötzlich gestorben, ein Mann den ich sehr verehrt habe. Er ruhe in Frieden. Heinz Leopold ist nun auch Soldat: Zu den Reitern nach Herford ist er gekommen. Er hat die Anregung gegeben zu einem Zyklus über Goethes Faust, den wir gestern beendet haben. Ich glaube, dasz er sich gelohnt hat. Das Interesse war jedenfalls lebendig. Dazu ist öfter ein Herr Mühlfahrt gekommen, der sehr lebendig zu erzählen wusste. Am Christkönigtag war die Jugend Kölns im Dom und der Erzbischof hielt ein Choralamt mit der Jugend. Er war schon imponierend, wenn ich mir die Zahl der Teilnehmer auch noch grösser vorgestellt hatte und gewünscht hätte. Vorige Woche habe ich den neuen Film ge-sehen: Bismarcks Entlassung. Emil Jannings spielte den Bismarck. Sehr interessant. Man erlebte diese Zeit vor der Jahrundertwende neu, manches sehr fein gemacht: zB der Tod Kaiser Wilhelms I. wurde durch das Senken der Kaiserstandarte angedeutet. In religiöser Hinsicht war eine Szene zu beanstanden in der ein Sozialdemokrat das Model für einen leidenden Christus abgibt. Dazu kommt noch der Kaiser in die Szene hinein und der Dornengekrönte steht dann vor dem Herrscher dieser Welt stramm. Nun ja, man kann verschiedener Auffassung sein über den Geschmack und die Ansichten einer solchen Szene.

Mit den Mädchen war ein Krach: unsere Jungen verammelten öfter den Mädchen die Türe und störten sonst auf allerlei Weise. Dadurch sind den Mädchen manche Abende verdorben worden denn zB ein Allerseelenabend erträgt solche Störungen ja nicht. So hat Kaplan Fröhlich nun einen strikten Nichtangriffspakt erzwungen und ich bin mal gespannt, ob es nun den Winter über gut geht.

Ich lese grade ein lustiges Buch, in dem zB folgender schöne Satz steht, den man in der Strassenbahn beachten soll:

Steigst Du aus, denk an den Kniff
Linke Hand am linken Griff!

Oder zB

Willst du baun: drei Wörtel merke
Vereinigte Berliner Mörtelwerke!

Es gibt ganze Bücher solcher gesammelten „Schüttelverse“. Wenn man sich die angewöhnt, fällt einem einer nach dem andern ein.

Lach mal und sei herzlich gegrüsst von Deinem