Willy Winterscheidt an Kaplan Stiesch, 7. Dezember 1942
Ostrow, den 7. Dezember 1942.
Lieber Herr Kaplan!
Für Ihren Brief vom 2. Dezember herzlichen Dank. Ich bin nun langsam wieder auf dem Wege der Besserung. Gestern, am 2. Adventsonntag war ich nach langer Zeit zum ersten Male wieder in einer richtigen Kirche zur hl. Messe. Vor dem Gottesdienst frug der Wehrmachtspfarrer, wer die Messe dienen könne. Da habe ich mich dann sofort gemeldet. Es war wieder ein grosses Erlebnis für mich, und oft tauchten Bilder vor mir auf, wie ich vor etwa 13 Jahren zum ersten Male in St. Dreikönigen die Frühmesse dienen durfte. Ich vergesse das nie. Es war auch im Winter und es lag Schnee. Schon ¾ Stunde vor Beginn war ich mit meiner Mut-ter vor der verschlossenen Kirchtür. Nach einer Viertelstunde kam der
Küster zum Angelus-läuten. Damals hatten wir noch keine elektrischen Glocken und ich durfte mit auf den Turm und auch mit am Seil ziehn. Das dicke Messbuch hat Herr Kaplan Berghs sich selber tragen müssen, da das für uns noch zu gefährlich war. Und wie viel schöne Tage habe ich dann noch in St. Dreikönigen verlebt. –
Wer hätte damals an Krieg gedacht. Dieser Krieg hat aus dem Kind und Jungen von damals einen Mann gemacht. Wenn nicht den Jahren nach, so doch dem Erleben nach. Das ganze schreckliche Miterleben dieses Krieges hat mich vielleicht etwas zu Ernst gemacht. So richtig fröhlich und lustig wie früher werde ich wohl nie mehr sein können. Ich kann die vielen kleinen Birkenkreuze nicht vergessen, die überall in Russland stehen. Diese Kreuze verpflichten. Hinzu kommt dann noch der plötzliche Tod meiner