Hans Werres an Kaplan Stiesch, 24. Februar 1943

Soldat Hans Werres
Feldpostnr. 46 518

O.U, den 24. Februar 1943

Rudolf, in Christo dilectro fratre!

Ihren Brief vom 11. d. Monats habe ich dankend erhalten und it Interesse gelesen. – Meine kleine „Bibliothek“ wächst immer mehr an, denn ich kann es nun einmal nicht lassen, das Bücherkaufen. Habe mir von Kirschweng: Trost der Dinge und Ricks feuerroten Ball noch zugelegt. Doch wäre ich ihnen sehr dankbar, wenn sie mir jetzt von Reclam einiges an Klas-sikerlektüre schicken würden. Ich habe im Augenblick Vermittlungsdienst und daher Zeit ge-nug zum Lesen. Ich möchte nämlich das mitlesen, was meine Klasse im Augenblick liest, um später diese Lücke wenigstens schon gefüllt zu haben. (Etwa: Kleist, Hebbel, Schiller u. der-artige. Sie haben doch sicher Ahnung, was am bekanntesten ist und was man zumindest kennen muß.)

Herzlichen Dank für die Anschriften. Ich habe allen außer H. O. Mundorf geschrieben, da dieser mir ja noch zu antworten hat. – Schicken Sie Geld, ich will Ihnen den Lortz noch mal besorgen. (18,75.) Aber bald! Der „Zölibats“-fanatiker ist leider zur Zeit auf Urlaub doch ich beschäftige mich auch so immer noch mit dieser Frage.

Ich gebe zu, dass es eine geistige Zeugung gibt, aber besteht nicht gerade beim Christentum so eine Neigung zur Leibverachtung zumindest, den Leib als zweitrangig hinzustellen? Wenn ein vergangenes Zeitalter des Bürgertums in das Extrem des Manichäismus verfällt, so ver-steht man, dass das Pendel heute zur Leibvergötzung ausschlägt. Doch ist das nicht ein Mahnzeichen für das Christentum, sich auch auf die Schönheiten und das Gottgewolltsein des Leiblichen zu besinnen? – Zölibatäre sind aus der

jeweiligen Zeit zu verstehen. Denn, so kann man behaupten, genau so wie die Zeit der Einsiedler z.B. vorbei ist, weil sie einfach nicht mehr in den Sinn der zeit passen, so ist auch die Zeit des Zölibats vorbei. Einzelne Freiwillige mag es geben, die Christus so tief nachfolgen wollen, aber im Großen und Ganzen sollten wir Christen dieser verkommenen Welt durch Tat + Beispiel zeigen, was christliche Ehe heißt. Ich selbst las nämlich in einer Verteidigungsschrift d. Zölibates, dass man es endgültig aufgegeben hat, den Zölibat apostolisch nachzuweisen. Mit welchem Recht will die Kirche die Stelle: „Es wird Ehelose geben um des Himmelreiches willen“ gerade auf ihre Priester beziehen. Es geht meiner Ansicht deutlich daraus hervor, das es „Ausnamen“ sind, die den Zölibat auf sich nehmen, weil er so unfassbar ist. – Denn der Schöpferbefehl: wachset u. mehret euch bleibt bestehen! – (der Führer ist sehr schwach. Vom Weltb. aus gesundh. nicht zeugungsfähig) (???) Eine weitere Frage: Ich las ein kleines Heftchen Novalis: Hymnen an die Nacht. Es hat wieder Fragen in mir aufgeweckt, mit denen ich mich schon früher beschäftigt habe. Die sinnliche Lust ist gottgewollt und nicht Sünde. Stimmt das? Sie gehört doch – in rechtem Maß gehalten und in den Grenzen der Ehe – zu den Freuden der Schöpfung. Wenn da zum B. Novalis in einem Vers sagt von „Freuden, die uns einen Himmel ahnden lassen“ oder in einem anderen (ganz sinnlich!): „Wir sinken auf der Nacht Altar. Aufs weiche Lager die Hülle fällt und angezündet von dem warmen Druck entglüht des süßen Opfers reine Glut“ und „und zum Himmel den Schoß macht“ – dann finde ich das – in rechtem Maß gehalten wohlgemerkt! – schön und gottgewollt. Was sagen Sie dazu, gestrenger Theologe? – Vielleicht habe ich die Verse falsch gedeutet? Bei Dichtungen ist das schon gut möglich. – Ich sehe noch endlose Debatten über das Thema vor mir. Den Kameraden werde ich, falls ich im März nicht auf Urlaub komme, dann schreiben.

Heil

Hans