Kaplan Stiesch an Hans Friesenhahn, 2. März 1943

2 März 1943

Lieber Hans!

Heute morgen sind Tante Marie und Traudchen zu Besuch gekommen und haben uns in farbenprächtiger Schilderung die nähren Umstände Deines mit vielen Tränen beweinten Abschiedes von Benrath erzählt. Dass Du nun doch schon weg bist, ist ja unerfreulich genug, dass der Abschied aber soviel Tränen auslöste ist erfreulich und lässt uns auf unseren Bruder und Sohn stolz sein. Hoffentlich erleben wir in nicht allzu grosser Ferne auch die glorreiche Rückkehr nach Benrath. Ich stelle mir vor, dass der Dienst vor allem körperlich recht ungewohnte Anstrengungen erfordern wird und hoffe, dass Du es gut überstehst. Da Du jetzt Soldat bist, nimmst du auch an den Vergünstigungen teil, deren sich die Soldaten von Drei-königen erfreuen und ich werde Dir öfter ein Heftchen mitschicken zur Lektüre für eine freie Viertelstunde. So kommst Du vielleicht zur Lektüre von Sachen, an die Du sonst nicht ge-dacht hättest. Wenn Du irgendwelche Wünsche hast, werden wir sie nach Kräften erfüllen. Sobald Du weißt, ob man Dich dort besuchen kann, gibt mir bitte kurzen Beschied auf einer Postkarte. Wir werden dann sofort die nötigen Schritte unternehmen, um Dich zu besuchen. Für mich [ist] eine Reise nach Soest eine höchst erfreuliche Unterbrechung des alltäglichen Dienstes. Ich finde das auch richtig, dass Du in Soutanelle gefahren bist. Die Mehrzahl der Soldaten werden das auch erwarten. Ich kann mir gar keinen plausiblen Grund denken, wa-rum man da auf einmal kneifen sollte, wo es ja doch in Kürze allgemein bekannt ist, dass man Kaplan ist. Interessant wäre es ja gewesen, wenn ich auch nach Soest zur gleichen Zeit eingezogen wäre. So wird mich das Los vielleicht auch in Kürze treffen und so haben wir nichts von einander.

Das glaube ich ja auch, dass man im Verkehr mit einem prot Pfarrer

immer etwas die Fremdheit empfinden wird. Andrerseits hat man so aber wenigstens überhaupt die Gelegen-heit zu einer näheren Bekanntschaft. Ich hatte dort immer in Rath mal einen besuch machen wollen, aber nie den letzten Dreh gekriegt. Jetzt eigentlich schade, man hätte es doch tun sollen. Du hättest jetzt einen schönen Anknüpfungspunkt. Im Wanderer zwischen beiden Welten steht über dies Thema eine schöne Ausführung. Im Eisenbahnwagen kamen wir ins Gespräch. Er sass mir gegenüber und kramte aus seinem Tornister einen kleinen Stapel zerlesener Bücher: ein Bändchen Goethe, den Zarathustra und eine Feldausgabe des Neuen Testamentes „Hat sich das alles miteinander vertragen?“ fragte ich. Er sah hell und ein wenig kampfbereit auf. Dann lachte er. „Im Schützengraben sind allerlei fremde Geister zur Kameradschaft gezwungen worden. Es ist mit den Büchern nicht anders als mit den Menschen. Sie mögen so verschieden sein wie sie wollen – nur stark und ehrlich müssen sie sein, und sich behaupten können, das gibt die beste Kameradschaft.“

An Familie Beimel werde ich gleich auch schreiben, hoffentlich kommt die Karte an. – Ferdinand hat auch angerufen. Er sei plötzlich gerufen worden, als er zum Bahnhof zum Abschied kommen wollte, und sei deshalb nicht erschienen. – In der Nacht vom 26 – 27 Febr ist Klettenberg schwer mitgenommen worden. Man kann sagen, dass es zum grösseren Teil zerstört worden ist oder unbewohnbar wurde. Auch Viehövers Haus ist schwer mitgenommen. Wir wissen noch nicht, wo sie überhaupt sind. Die Fenster in der Bruno Kirche sind alle heraus-geflogen. Auch die Nikolauskirche ist schwer beschädigt.

Nun wünsche ich Dir alles Gute und grüsse Dich von Herzen. Bisher habe ich Deine Briefe in der Mappe „Privatkorrespondenz“ abgelegt. Da werde ich ja jetzt die Mappe „Soldatenbriefe“ nehmen müssen? Schreib nicht zuviel. Lieber öfter mal eine kurze Karte, damit wir auf dem laufenden sind.

Stets Dein