Kaplan Stiesch an Unteroffizier Theuerkauf, 30. Juli 1943
Rudolf Stiesch Köln Bickendorf Schlehdornweg 1
30. Juli 43
Sehr geehrter Herr Unteroffizier!
Schon immer hatte ich Ihnen einen Gruss zuschicken wollen, endlich komme ich dazu. Inzwischen hat Köln ja sein Angesicht leider bedeutend verändert. Alles, was die Stadt früher einmal sehenswert gemacht hat, ist nun dahin. Es ist unglaublich, was alles in so kurzer Zeit in Schutt und Asche sinken kann. Die Lektüre des Lortz, die ich damals begonnen hatte, habe ich inzwischen fast vollendet. In einem Kreis der Jugend der Pfarre habe ich zweimal einen Abend über die Reformation gehalten und mich über die Aufmerksamkeit der Jungen gewundert. Die Aufgabe solcher Stunden kann ja nur die sein, Brücken eines gegenseitigen Verständnisses zu bauen, wie ich das auch betont habe. In der Zeitschrift Hochland waren dazu vor einigen Jahren auch mehrere wertvolle Beiträge, die ich noch weiter auszuwerten gedenke.
Am Dreifaltigkeitssonntag hatten wir dann eine strahlend schöne Bekenntnisfeier der Jugend über das Thema unserer Heiligung. Ein junger Organist spielte zum Abschluss die dorische Toccata von J S Bach. Wunderbar diese Ordnung und dieser innere Reichtum. Ein Freund sagte, sie sei ihm das schönste Erlebnis seit Monaten gewesen. Auch das mag eine geistige Annäherung fördern. So sehr die grossen Meister auch „überkonfessionell“ sind, so werden sie doch aus ihrer katholischen oder evangelischen Heimat bedeutend beeinflusst sein. Merkwürdig ist ja auch, wie die Jugend manche früher konfessionell gebundene Choräle nun zu ihrem Eigentum gemacht hat zB Wie schön leucht uns der Morgenstern oder Lobet den Herren und andere.
Das religiös musikalische Erlebnis schlechthin in Köln war die alljährliche Aufführung der Matthäuspassion. Die Messehalle fasste sicher 10 Tausend Zuhörer und war alljährlich zweimal ausverkauft. Man hatte schon eine dritte Wederholung in Aussicht genommen, um allen Wünschen gerecht werden zu können. Leider haben die Bomben nun alles zerschlagen. Zur Zeit ist das Opernhaus der einzig verbliebene grössere Raum und auch der muss andern Zwecken dienen als Bezirksamt usw.
Anfang des Monats war ich mit meiner Mutter in Mainfranken bei meiner Schwester. (in der Nähe von Würzburg). Auch ein kulturell geschlossenes Gebiet, mit all den Barockkirchen und der imponierenden Residenz. Würzburg schien mir wohl überhau t eine der schönsten deutschen Städte zu sein, die ich bisher kennen gelernt habe. Wunderbar die Einheit vom Main mit der Stadt, die sich wirklich harmonisch an die Ufer schmiegt. Und die schönen Brücken. Und grade ein Fischer in seinem Nachen. Es war eine Idylle, wie ich sie noch kaum erlebt habe.
Und nun habe ich immer von mir erzählt! Und Sie liegen da an der Front in dem unheimlichen dämonischen Land. Und dazu stehen Sie an einem besonders verantwortungsvollen Posten, wie mir mein Bruder schrieb! Hoffentlich kommt der Krieg bald an sein Ende und Sie zu einer glücklichen gesunden Heimkehr!
Nun seien Sie herzlich gegrüßt von Ihrem