Kaplan Stiesch an Jochen Soddemann, 23. September 1943

Rudolf Stiesch   Köln Bickendorf   Schlehdornweg 1  

23. Sept 43

Jochen!

Für Deine Zeilen vom 14. Sept herzlichen Dank. Es ist ja schön, daß Du schon einen neuen Rundbrief auf die Beine gebracht hast. Ludwig Kreusers Briefe habe ich der Familie zurückgegeben, weil die fast keine Briefe mehr von ihm hatten. Alles ist mit dem Brand der Firma am 29 Juni in den Flammen zugrunde gegangen. Ich möchte die Briefe jetzt auch nicht gern zurückfragen.

Das Buch von Velter habe ich noch nicht bekommen. Wohl den Dominik. Vielen Dank. Wie steht mein Konto? Du schreist ja, wenn Auffüllung notwendig ist?

Was die Äusserungen von Günter und Willi angeht, so sind auch diese meiner Anschauung nach nicht allzu tragisch zu nehmen. Du kennst ja den bekannten Satz, daß die Jugend mit dem Urteil schnell fertig ist und auch die Tatsache, daß sie ihre Meinung oft schnell rectificiert, wenn man seine abweichende Meinung ihr plausibel zu machen versteht. Ich glaube auch, daß man sich nicht allzu sehr dem Urteil der Jüngeren unterwerfen darf. Diesen Sinn hat das Jesuswort, daß die Kinder die Richter sein werden sicher nicht.

Aber eine andere Frage stösst mir öfter auf. Soll man in der Pfarrjugend das Eliteprinzip pflegen oder nicht. Ich meine bei den Jungen oft einen etwas selbstgenügsamen Geist festzustellen. Sie bilden kleine Gruppen und kümmern sich kaum um die Gewinnung anderer, ja wollen meist sehr wenig davon wissen. Wenn ich ihnen dann sage, sie sollten sich den oder den angeln, sagen sie, der passe nicht zu ihnen. Ich sage ihnen dann, dann sollen sie ihn sich passend machen, ihn nach unserem Geiste formen. Aber davon wollen sie nichts wissen. Ich gebe wohl zu, daß das schwer ist, ich glaube aber doch unerlässlich. Etwas von missionarischem Geist muss doch wohl in den Jungen stecken etwas von Verantwortung für das grössere Reich Gottes.

Ich meine, es komme sonst immer die Gefahr einer Art geistigen Inzucht nahe, die Gefahr einer Art von Sympathieklüppchen, der ja auch manche Zweige der Jugendbewegung erlegen sind. Es würde mich sehr interessieren zu hören, wie Du davon denkst.

Von der Michaelsstunde wirst Du ja gehört haben. Im Halbkreis standen die Jungen um den Altar und Helmuth und Günter begleiteten den unüberwindlich starken Helden mit der Klampfe und der kleine Josef Ley mit der Geige. Dazu Lesungen und Gedichte zum Thema, die Legende von der Engelsburg ä. Ich entwickelte einiges in Anlehnung an das Heft von J Bernhart vom Engel des Deutschen Volkes.

Ich schlug ihnen vor, noch einmal eine Komplet der gesamten Jugend zu halten, sie wollen aber nichts von einer mit den Mädchen gemeinsamen Komplet wissen. Mir hat es gut gefallen, grade der verschiedenen Klangfarben der Chöre wegen. Zudem haben wir jetzt den Karl Heinz Hodes zur Verfügung, der wirklich besonders gut begleitet. Er war mal bei einem Diakonat hier und hat Lieder aus dem Kirchenlied am Klavier begleitet, ganz wunderbar schön. Selbst die sonst für solche Delikatessen schwer zu begeisternden Jungen waren ganz erfasst. Musst Du auch mal mitmachen. Wunderbar zB der Sieben Sonne Licht und Pracht, Auf bleibet treu ua. Sogar ein so bekanntes Lied wie „In dieser Nacht“ wurde da jungengemäss und frisch.

   Herzlichst