Otto Mundorf an Kaplan Stiesch, 3. Oktober 1943

Nordhausen, den 3. Oktober 43.

Heil und Frohgruß Dir Rudolf.

Für Deinen Brief vom 27. Sept. meinen Dank. Heute am Erntefest will ich ihn beantworten.

Ich habe meiner Schwester geschrieben und gebeten, Lautenband und Jungführer zu suchen. Wo die Sachen sind kann ich nicht sagen. Insbesondere die Jungführer, wenn ich sie noch im Besitz habe, wird sie sie wohl finden, denn meine Sachen sind alle zusammen. Oben habe ich schon nachgesehen, es wäre höchstens noch möglich, dass sie verpackt im Keller sind. Na, wenn es der Fall ist, wird meine Schwester sie finden. Anderenfalls habe ich sie einmal mit meinen Scheidewegen (gebunden) verliehen. Ich weiß aber nicht mehr an wen, denn auch diese habe ich nicht zurückerhalten.

Sollte meine Schwester das Lautenband nicht finden, so will sie Dir meines geben, denn ein neues ist ja heute nicht mehr zu beschaffen und ich brauche ja meines auch einstweilen nicht.

Von der Singestunde und der Michaelfeier junger Kirche habe ich inzwischen ausführliche Berichte erhalten. Wie in den vergangenen Jahren, so war sie ja auch in diesem eindrucksvoll und von der Kraft der Jugend getragen. Schade, daß ich hier so wenig Gelegenheit habe mich in der Pfarre etwas zu betätigen. Am vergangenen und diesem Sonntag konnte ich nicht einmal zur hl. Messe gehen, da ich Dienst hatte. Nun, wenn es nicht anders ist, dann trete ich in der Natur zu Gott. Gleich hinter unserem Wohngebäude haben wir einen großen

freien Platz, der mir manche schöne Stunde allein gibt. Vorgestern abend war ich draussen, es war bereits dunkel und die Sterne standen in ihrer Pracht und Klarheit im Kosmos, vor mir erhoben sich die Konturen des naheliegenden Waldes. Es ist etwas eigenartiges um diese Stunden, in denen man die Größe und Macht des Herrn spürt und sieht. Alles um einen herum versinkt in ein Nichts, es ist ein immerwährendes neues Erkennen und Schauen des längst Bekannten. Aber nicht nur diese nächtliche Welt mit der Schönheit und Pracht des Sternenhimmels zeigt uns immer erneut Gottes Größe, sondern auch die Felder und Wälder, jede Blume, jedes Tier ist Zeuge der Allmacht und Liebe unseres Herrn, der uns dies alles gab zur Mitverwaltung und zum Gebrauch. Und in diesem größten der Dome des Herrn, den er sich selbst erbaute mit seiner

Schöpferhand finde ich zum Herrn, wenn es mir an einem Sonntag einmal nicht möglich ist sein größtes Werk, sein Opfer mitzufeiern.

Vom Erntedankfest ist hier nichts zu merken. Im Vorjahre erlebte ich es in Welzow. Es war für uns alle, die wir es miterleben durften, ein schöner Tag. Es begann mit der Gemeinschaftsmesse die im Te Deum ihren Ausklang fand und endete mit dem gemeinsamen Abendgebet in der Komplet. Wir waren nur zu 30 Jugendlichen die zusammen dem Herrn dankten für die Frucht die er uns in diesem Sommer geschenkt hatte. Trotzdem aber wird keiner von uns den Tag vergessen.

Wie ich schon schrieb habe ich in diesem Jahre den Tag in der Kaserne verleben müssen. Ich hatte mir ein paar Blumen besorgt, die nun auf meinem Tisch stehen und die Zeit

ausgenutzt, meine Briefschulden zu begleichen. So hat es wenigstens einen kleinen positiven Wert.

Nun etwas anderes. Da Du durch das Du eine neue und feinere Gemeinschaft zwischen uns geschaffen hast, möchte ich, daß der eine von des anderen Leben weiß, daß Du auch um mein Leben weißt. Aus diesem Grunde möchte ich Dir heute etwas schreiben, von dem ich bisher nur zu Rudi gesprochen hatte und was mein innerstes Leben angeht. Zugleich aber möchte ich auch zu Dir als dem Priester und Älteren sprechen und um Deinen Rat bitten, wenn Du mir solchen geben kannst und willst. Seit Januar habe ich ein Verhältnis mit Margrete Ersmann. Einem Mädel aus unserer Gemeinschaft und innerer Haltung, welches in einer

Gruppe von H. Kpl. Föhlich steht und aktiv an der Sache Christi mitarbeitet. Wir kannten uns schon Jahre, als wir im Januar in meinem Urlaub zueinander sprachen von unserer Liebe sprachen und wißen, dass wir zueinander passen. Gewiß, wir sind beide noch sehr jung, Margrete ist 19 und ich bin 21 Jahre und viel Zeit liegt noch vor uns, die Dauer des Krieges und 2 ½ Jahre Studium für mich. Aber ich habe den Glauben, daß wir, wenn es Gottes Wille ist, diese Zeit in Reinheit abwarten können. Mehr kann ich wohl nicht sagen, denn alles andere liegt in der Ferne und in Gottes Hand. Einstweilen ist Margrete mir Schutzengel in allem Unschönen und Gemeinen was wir als Soldaten miterleben müßen durch Gespräche et cetera p.p.

Ich will nun nicht gesagt haben, daß man ohne ein Mädchen, daß einem wert und lieb ist nicht in Reinheit durchs Soldatenleben gehen kann. Nun, dann wäre es traurig und schlecht um unseren Willen und unsere innere Freiheit bestellt. Trotzdem aber ist es schön, wenn über allem Gemeinen und Schmutzigen rein und leuchtend das Bild eines Mädels steht, welches mit all dem nichts zu tun hat.

Im übrigen möchte ich an dieser Stelle einmal sagen, daß der augenblickliche sittliche und moralische Zustand unserer Jugend, der deutschen Jugend, ein schon sehr trauriger ist. Wenn man nicht so genau wüßte, dass es auch noch reine Mädchen gibt, dann möchte man den Spruch von Nikolaus Götz (1921) gelten lassen: Sprich wo gibt es noch ein Galan von Bestand und Treu und Glauben? „An zwei Orten: „Im Roman und im Nest der Turteltauben.“ Dieser Ausspruch

ist wohl etwas kraß, aber wohl auf den größten Prozentsatz der heutigen Mädel zutreffend. Ein Zivilist kann sich kaum ein Bild davon machen, wie es in dieser Beziehung beim Militär zugeht. Heute diese morgen diese und dann wieder eine andere. Und diese Mädel wollen dann Trägerin deutscher Zukunft sein, für die an der Front die Besten ihr Leben im Kampf einsetzen und opfern. Aber genug davon. Schreibe mir bitte einmal Deine Meinung ohne zu schonen.

In den nächsten Tagen bekomme ich die Predigten von Dr. Fuhrmann, dieselben sind mitgeschrieben worden, wenn Du Interesse daran hast, sende ich sie Dir einmal zum Durchlesen.

Nun will ich für heute meinen langen Brief schließen. Hoffentlich kannst Du meine Hieroglyphen lesen. Sei nun froh gegrüßt.

Heil

Otto

Grüße bitte alle Kameraden von mir.