Kaplan Stiesch an Willi Ludwig, um den 12. Oktober 1943
[um 12.10.1943?]
Lieber Herr Ludwig!
Für Ihre Zeilen vom 5 10 43 danke ich von Herzen. Anbei ein Programm von einer Feierstunde vor 8 Tagen. Es war etwas sehr schönes. Die Kirche war voll wie zu einem Hauptgottesdienst. Es ist ja auch verständlich, daß die Leute hungrig sind, etwas Schönes zu hören und die Last des Alltages mal ein wenig zu vergessen. Besonders schön wirkten die Stücke für Geige und Orgel. Die Geige kann ja leicht etwas weltliches an sich haben und ist ja normaler weise im Kirchenraum nicht erwünscht nach den kirchlichen Vorschriften. Wenn sie aber gut spielt wird, kann sie auch sehr erbaulich wirken, wie man das an dem Sonntag erneut feststellen konnte.
Zur Zeit ist Herr Meurer unser Küster und Organist in Urlaub. Gestern hat er mir viel erzählt, auch zB von der 10 Tage dauernden Fahrt aus Griechenland nach Hause. Vielfach über eingleisige Strecken in Güterzügen usw. Unglaublich was man da alles erleben kann. Dieser Tage war Kaplan Fröhlich drauf und dran eingezogen zu werden. Aber dadurch, daß er grade Nierensteinbeschwerden hatte, wurde er noch mal zurückgestellt. Aber eines Tages wird er auch fortmüssen. Auch sonst sind manche eingezogen worden, so Herr Mühlfahrt vom Akazienweg. Ich muss mich ja wundern, daß ich immer noch hier bin. Mein 6 Jahre älterer Bruder ist schon seit Juni in Russland als Sanitäter und hat in der kurzen Zeit unglaublich viel erlebt und mitmachen müssen. Hoffentlich kommen Sie gesund wieder!
Zur Zeit macht die Jugend der Pfarre mir viel Freude durch ihre Lebendigkeit trotz der Ungunst der Alarme usw.
Herzlichst Ihr