Hans Meiers an Kaplan Stiesch, 14. November 1943
Russland, den 14. Nov. 43
Sehr geehrter Herr Kaplan.
Vor einigen Tagen erhielt ich Ihren lieben Brief, sowie ein Reclam-Heftchen, was anbei gelesen wieder beigefügt ist. Meinen herzlichsten Dank dafür. Gleichzeitig sende ich ihnen noch ein älteres Heftchen zurück, für welches ich mich nicht so sehr interessierte. Das Heftchen von den „Sieben Bergen“ war sonst ganz gut, nur meine ich, es wäre ein wenig übertrieben, aber dafür ist es ja auch nur eine Erzählung.
Nun zu Ihrem Brief. Mit Trauer erfüllte mich die Nachricht vom Tode unseres Otto
Haas. Die Zahl der toten Kameraden in unserer Pfarre wird von Tag zu Tag größer. Es war für ihn aber die einzigste Erlösung von seinem Leiden. An einer ähnlichen Krankheit starb 1935 mein einzigstes Brüderchen im Alter von 9 Jahren, nur mit dem Unterschied, daß er nur 14 Tage im Krankenhaus lag. Wer weiss aber, wie lange er es schon hatte, ohne daß meine Eltern etwas wussten, denn er klagte immer über starke Kopfschmerzen, bis sich dann im Krankenhaus herausstellte, daß er ein Geschwür oder etwas ähnliches am Gehirn hatte.
Nun zu etwas anderem. Wir liegen hier noch immer ziemlich in der Nähe der Front in Be-
reitstellung. Augenblicklich ist es hier in unserem Abschnitt sehr ruhig. Wer weiss, wie lange es noch dauert. Vor einigen Tagen hat es hier zum 2. Mal bereits geschneit, aber der Schnee bleibt infolge der um diese Jahreßeit etwas ungewöhnlich warmen Temperatur noch nicht liegen. So ist jetzt alles wieder ein Schlamm. Wenn es jetzt wieder frieren wird, können wir wohl bald mit unserem Einsatz rechnen, denn es wird wohl jetzt die „Ruhe vor dem Sturm“ sein, wie man so sagt.
Nun hätte ich noch eine Frage. Haben Sie nicht die Adresse von Herrn Kaplan Klein? Wenn ja, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie sie mir
im nächsten Brief mitteilen würden.
Das Weihnachtsfest naht jetzt mit schnellen Schritten. Es ist die zweite Weihnacht, bei der ich nicht zu Hause sein werde, oder ich müsste ausgesprochenes Glück mit meinem urlaub haben. Voriges Jahr hatte ich gerade daß Glück, daß ich vom RAD entlassen wurde und bis zu meiner Einberufung über Weihnachten zu Hause war. Ich werde wahrscheinlich Januar, Februar mit Urlaub an der Reihe sein.
Nun möchte ich meinen Brief beenden.
Es grüßt Sie recht herzlich
Ihr Hans Meiers
N.S Das andere Heftchen geht Ihnen im nächsten Brief zu wegen des Umfanges