Kaplan Stiesch an Bruder Hans, 17. November 1943

Rudolf Stiesch   Köln Bickendorf   Schlehdornweg 117 November 1943

Lieber Hans!

Da hat sich in den letzten Tag ja ein ganzer Berg von Briefen von Dir auf meinem Schreibtisch angehaüft (Schön nicht, so wie in französischen Büchern deutsche Wörter gedruckt werden!) und den will ich mal durchlesen und beantworten. Herr Buiff Liesel Nowack und Herr Birgel haben sich für Vaters Rundbrief bedankt. Ich habe diesem Herrn Birgel meine Postschecknummer angegeben und er hat darauf mit etwas rätselhaften Worten geantwortet. Na ja, das Geheimnis wird sich ja noch lüften. Pakete mit Zigaretten Büchsen usw sind gut angekommen. Mutter beschlagnahmt alle Zigaretten jetzt damit ich meinem Freunde Herrn Lohr keine mehr gebe. Das kann sie einmal nicht vertragen. Für die Zusendung von Hostien werde ich auch heute sorgen. Gerstern abend ist Walter gekommen. Sein Haus in Rath hat auch einige Schäden an Dach und Fenstern mit bekommen. Die will er heute be-sichtigen. Mit den Radtouren mit Harald und Elmar hast Du es ja gut vor. In der Pfarrjugend von Dreikönigen können sie allerdings auch ähnliche Dinge erleben, allerdings nicht unter Führung des Kaplanes. Du schreibst von einem Uffz Freese. Bei Schleich kommt ein Oberlehrer dieses Namens vor, der dort höchst lebendig beschrieben wird. In besonnte Vergangenheit. Vielleicht kannst du ihn mal fragen ob seine Familie auch aus Stettin stammt.

In Deinen Briefen schreibst Du immer wieder von den Klageweibern. Es scheint das besonders kennzeichnend zu sein. In dem Tscherkessenlied, das mir so gut gefällt heisst es auch folgendermassen. Durch unsre Dörfer rufen laut Kageweiber und rufen „Rache“ laut zum Totentanz. Koni Fiesenhahn wird das Lied sicher auch kennen; die gemeinsame Quelle der Kenntnis dieser Lieder in der Jugend sind wohl die Donkosaken, die damals immer sangen. Sollten wir Dir nicht li[e]ber mal was Geld schicken. Dann brauchst Du nicht so zu rechnen. Und hier ist ja genuck Vorrat. Man kann ja doch nichts kaufen. Willst du gern den Band II von Lortz haben? Du schriebst ja, dass Du den ersten Band verliehen hast. Kaplan Fröhlich ist wieder gesund.

Er wäre beinahe in die Seelsorge der Evakuierten in Württemberg gekommen. Aber durch den Hinweis auf seine Gesundtheit hat unser Pastor dies zu verhindern gewusst.

Nun sind wir noch beide hier und werden wie es scheint vorläufig noch bleiben, wenn nicht höhere Gewalten dies Idyll hier zerstören. Es ist wohl in Köln einzigartig, dass eine Pfarre verhältnismässig so wenig noch vom Krieg hat erfahren müssen wie die unsre. Allerdings haben wir andrerseits eine ziemlich hohe Anzahl von Gefallenen auch grade unter den Jun-gen der Pfarre, die grade erst herausgekommen waren.

Dass ich am Montag unerwartet in ein Konzert gekommen bin, hatte ich Dir glaube ich schon geschrieben. Das a moll Konzert von Schumann wurde u a gespielt. Der Herr Lohr ist immer aus dem Häuschen wenn die Solisten so affektiert spielen um den Beifall des Publikums zu erhaschen. Das war jetzt auch wieder der Fall. Und die Pianistin wollte einen Steinway haben, in ganz Köln ist keiner mehr aufzutreiben. (kein Konzerflügel wohl kürzere) und dann war ihr der Bechstein zu ausgespielt; alles Beschwerden die die Wut des Herrn Lohr über das dumme Göhr noch steigerten.

Ich will mal Luftmarken drauftun, damit Du nicht allzu lange zu warten brauchst.

Viele Grüsse