Kaplan Stiesch an Heinzs Peter Mülfarth, 26. November 1943
26. November 1943
Lieber Heinz Peter!
Für Deinen humordurchwebten langen Brief danke ich von Herzen. Im Ganzen ist es ja doch niederschmetternd, solches zu hören. In sone Anstalt verbannt, zu sein! Hoffentlich schlägt bald die Stunde der Erlassung, Entlassung usw. Schade, daß du nicht mehr mit dem Herrn Schubert zusammen bist, ich habe ihn mehrmals bei Engelskirchen getroffen und mich sehr an seiner Redegewandtheit erbaut. Er war ja auch Mitglied in einem Rednerklub und sammelte Stilblüten. Aber er schien mir auch ein heller Kopf zu sein so wie auch mein Freund aus Fühlingen. Deine Schilderung beim Eintreten in die dortige Anstalt erinnerte mich ungelogen an die Erzählung eines Lehrers, der einen indischen Affentempel besucht hatte. Dort musste man sich in Acht nehmen, daß einen die Affen – dort heilige Tiere – nicht mit Kokusnüssen oder ähnlichen Gegenständen bewarfen.
Du schreibst, daß Du augenblicklich keine geistige Beschäftigung hast. Ich schicke Dir mal ein kleines Heftchen zur Lektüre mit. Hoffentlich gefällt es. Die Abenteuer des Herrn Schlump vermochten mir ein Lächeln abzunötigen. Das waren in ihrer Art Kerle, wenn auch versoffene Genies. Das Heftchen war schon in Russland, wo mein Bruder es gelesen hat. In sofern ist es also schon ein wenig ehrwürdig geworden. Ich hoffe nur das eine, daß Du möglichst bald da aus dem Affenkäfig heraus kommst und wieder zu Weib und Kindern heimkehrst. Immerhin lernt man durch Entbehrung schätzen, was einem sonst selbstmurmelnd erschien. Und so wirst Du die Freude des Zu hause sein Könnens mit Behagen auskosten können. Gestern war ich in Werden meinen Vetter Hans besuchen, der in Urlaub ist. Auf der Rückfahrt sass neben mir ein junger Unteroffizier. Er erzählt u a, daß er anfangs des Krieges im Wallraffmuseum kampiert habe, das als Soldatenheim eingerichtet war. Er habe noch die berühmten Bilder vor dem Abtransport gesehen, so Rembrandts Selbstporträt usw. Die Wärter hätten ihnen alles erklärt. Er habe sich sehr gewundert, daß die Wärter bei manchen ganz kleinformatigen Bildern gesagt hätten sie
seien 10 000 und mehr Mark wert während grosse Bilder nur 100 oder 50 RM wert waren. Er habe immer gedacht, der Preis richte sich nach der Grösse. Ich fand das so hübsch naiv und treuherzig erzählt. Der Sinn für die geistigen Werte war ihm also jedenfalls vorher noch nicht aufgegangen. Ich glaube, daß es viele Zeitgenossen gibt, die nach ähnlichen Masstäben messen und daß man leicht die Fassungskraft seiner Hörer überschätzt und bei ihnen geistige Organe voraussetzt, die sie nicht oder nicht in Ausbildung besitzen. Du wirst ja davon ein Liedchen singen können, bei der grossen Zahl der Menschen, mit denen Du zusammenkommst.
Nett war auch die Bemerkung des Uffz, er habe Bilder gesehen „die könne eine Photografie auch nicht besser machen“.
Im übrigen werden wir jetzt also die Oration in der Messe pro captivis für Dich applizieren. Sorg, daß Du bald wieder zu Hause bist, das ist die Hauptsache. Den Herrn Jülich nebst seiner Gemahlin habe ich auch anlässlich Fahrplanproblemen kennen gelernt Machen ja eine sehr netten Eindruck. Oft fehlt einem der Anlass um solche Leute einmal aufzusuchen.
Zweimal war ich im Konzert. Aber die rechte Stimmung hat in diesen trüben Zeitläuften kein Mensch. Da muss man festlich gestimmt und unbeschwert sein. Höchstens religiöse Musik ist eigentlich zur Zeit aufnehmbar.
Herr Lohr schimpfte so schön über eine junge Pianistin aus Agram in Jugoslawien. Der war der Flügel nicht gut genug. Sie wollte einen Steinway haben, dazu war ihr der dort stehende Bechstein zu sehr ausgespielt. Dabei ist das der einzige Konzerflügel, der zur Zeit in Köln überhaupt noch verfügbar ist! Er fand „Das dumme Göhr“. Die Fratze, die er ihr geschnitten hat, kann man nur mit mimischer Untermalung wiedergeben.
Sonst weiss ich nichts neues von Bedeutung.
Alles gute! Und gute Nacht Dein