Jochen Soddemann an seine Gruppe in Köln-Bickendorf, 28. November 1943

Zum ersten Sonntag im Advent 1943.

Freunde!

Der Gemeinschaft froh, darf ich Euch allen heute, zu Beginn der Adventzeit einen Gruss sagen, den Euch aus eigenem und auf unser Bitten hin die Maedels der Pfarre sandten. Ich selbst bin froh, daß damit ein Plan, für den wir so lange überlegt haben, Wirklichkeit wird: Erst da wo Bruder und Schwester sich die Hand reichen ist Familie; nur da wo wir im Dienst unseren Schwestern daheim die Haende reichen – und sei es nur im brüderlichen Wort – erst da ist lebendig Gemeinschaft Junger Kirche. Zu unserem Schrieb selbst kann ich nur immer wieder wünschen, daß aus dem Gruss ein Sprechen miteinander werde, daß der eine mit diesem der andere mit jenem, ob Soldat, ob Mädel, Grüsse tauscht.

Doch nun haben die Mädchen das Wort:

Wir Mädels der Pfarre wollen Euch in diesem Jahre einen frohen Adventsgruss zukommen lassen. Nur noch einige Wochen trennen uns vom Weihnachtsfeste, wo eure Gedanken zu den Lieben daheim gehen. Diese wenigen Wochen sind eine hoffnungsfrohe, botschaftreiche Zeit. Der Advent ist eine ausgesprochene Zeit des Verlangens, der Sehnsucht und Erwartung. Er bedeutet uns die Ankunft unseres Erlösers, die Geburt unseres Herrn Jesus Christus zu Bethlehem, gleichzeitig Wiederkommen Gottes als Richter.

Das Reich Gottes ist da, und es kommt erst. Es liegt bereit wie der Schatz, der im Acker schon verborgen ist, wie die Perle, die in der Muschel schläft; aber ihr müsst es erwarten, ersehnen, erstreiten, „an Euch reissen“. Es ist mitten unter Euch, aber Ihr müsst darum beten: Zu uns komme Dein Reich! Es sprosst wie die Saat erst der Halm, dann die Ähre, dann der volle Weizen: Dann wird geerntet und wieder gesät – bis zu dem Tag, der keinen Abend kennt.

Ich war die Sehnsucht aller Zeiten.
Ich war das Licht aller Zeiten.
Ich bin die Fülle aller Zeiten.

In enger Verbindung mit der Adventßeit steht die Gottesmutter. Maria ist uns die grosse Führerin zum Weihnachtsfeste. Sie kann uns am besten lehren, wie man sich auf die Ankunft und Geburt Christi vorbereitet. Mit ihrem schlichten und einfachem Wort: „Siehe ich bin die Magd des Herrn“ ergab sie sich in den Willen Gottes. Wir wollen wie sie, innerlich gesammelt, uns auf die grosse Stunde vorbereiten. Unsere grösste Vorbereitung auf das Hl. Christfest ist das hl. Messopfer; denn durch das Opfermahl tragen wir wie Maria Christus in uns. Da Ihr draussen nicht die Möglichkeit habt dem hl. Messopfer beizuwohnen, wollen wir Eurer beim hl. Opfer gedenken.

Lasst uns denn in Gedanken beieinander sein:

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit;
Es kommt der Herr der Herrlichkeit.
Ein König aller Königreich,
ein Heiland aller Welt zugleich
der Heil und Leben mit sich bringt,
derhalben jauchzt, mit Freuden singt:
Gelobet sei mein Gott, mein Schöpfer reich an Rat!

Johannes W. schreibt uns vom Nordwesten Frankreichs:

Ich stehe auf Wache, schweigend offenbart sich die Grösse der Nacht. Meine Augen suchen am Himmel: ich kenne die Sternbilder, den Orion, dem kleinen Wagen und im Norden das schönste und einfachste zugleich: den grossen Wagen oder das Siebengestirn. Viele unserer Lieder sprechen von ihm; ich höre das Singen der Kameraden „dann fährt der goldne Wagen uns müde Schaffer fort“ Zeit und Raum versinken; ich denke der Kameraden. Erinnerungen werden lebendig frohe und schmerzliche, und die Sehnsucht wird Gebet:

Die Sehnsucht betet stets auch wenn die Zunge schweigt (Augustinus). Freude durchströmt mich und macht mich ganz ruhig. Kostbare Stunde – Wie arm ist so mancher, der das „Denken“ und Besinnen verlernt hat….

In diese Stimmung klingt das Lied eines Dichters hinein, ich glaube seinen Sinn zu erfühlen:

Gelassen stieg die Nacht zu Land,
lehnt träumend an der Berge Wand;
ihr Auge sieht die goldne Waaage nun
der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn.

Hier muss ich einen Augenblick absetzen: spürt ihr nicht, wie der Dichter das Göttliche zu erfassen sucht in seinen Worten; wir halten den Atem an, hier begegnen sich Zeit und Ewigkeit: in gleichen Schalen stille ruhn…..

Und kecker rauschen die Quellen hervor
Sie singen der Mutter, der Nacht ins Ohr
Vom Tage,
vom heute gewesenen Tage.
Das uralt, alte Schlummerlied,
sie achtete nicht sie ist es müd;

ihr klingt des Himmels Bläue süsser noch
der flüchtgen Stunden gleich geschwungenes Joch
Doch immer behalten die Quellen das Wort
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage, vom heute gewesenen Tage (Eduard Möricke)

Sehnsucht, von der Johannes zu uns sprach, bedeutet uns der Advent, bedeutet er den Vätern, die den Herrn erwarteten. Sehnsucht tägt unsere Welt in sich nach einem Frieden, den sie nie aus sich gewinnen kann.

Die Sehnsucht des Advent ist aber kein träumerisches Suchen nach ferner Zeit, sondern ist zugleich harte Tat, Beginn eines Neuen.

Wenn wir einmal die Zeit des Advent in der hl. Schrift verfolgen, so steht an ihrem Ende ein Mensch, dem der Herr selbst „den grössten unter den vom Weibe geborenen nennt“: Johannes. Sein Ruf aber gilt seiner und jeder Zeit: Denket um! Werft euer Leben in neue Bahn! Dazu schreibt einer:

Die Hauptaufgabe für den jungen Christen auch beim Barras ist: Lebensstil und Lebensformung. Es muss uns weniger darauf ankommen, Gegner zu erledigen abzuwehren, als vielmehr anzugreifen. Schon darin, daß du als Christ da bist dastehst, liegt Angriff, Tätigkeit. Als weitere Folge ist dann: Unterscheidung von den anderen, der Masse. Ich habe das in dem einen Jahre bereits weitgehend erfahren können. Dieses Zweite: Unterscheidung – das nicht Absonderung heisst – kommt von selbst und braucht nicht eigens betont zu werden, wenn man eine eigene Lebensformung hat. Wie oft fragte man mich: Warum tust du dies oder jenes nicht? Das verstehe ich von Dir nicht! Du bist doch sonst nicht „lebensfremd“ – Ich habe darauf meistens nichts geantwortet, weil das doch wenig Zweck hat (Es sei denn man hat eine schlagende Antwort, die dann aber auch nur augenblickliche Wirkung hat). Sie verstehen uns nicht. Aber die Tatsache, daß sie uns nicht mit Missachtung strafen zeigt, daß wir ihnen nicht gleichgültig sind.

Unser Leben in Wort und Werk ist im grossen und ganzen durch die Arbeit in Junger Kirche festgelegt. Für den Christen darf es jedoch keine starre Form geben. Das widerspräche dem Bilde Gottes in uns. Jeder ist ein „einmaliger Gedanke Gottes“ und baut darum sein Leben so auf, wie Gott es sieht, in seiner Art mit seinen Kräften und Fähigkeiten. Dieses Leben aber ist eng verwachsen mit Christus. Unser Ziel muss es sein, auch als Soldat Christentum in unserem „eigenen“ – diesmal im Sinne von: Eigenart – Leben zu verwirklichen. Das ist Lebensformung! –

Einer von uns, der nun als Priester für uns vor Gott steht, schrieb uns:

Ich meine das ist das schönste Wort über all unser Stehen in dieser Welt: „Gott hat uns heute etwas zugetraut“! Er glaubte an unsere Kraft, unsere Treue, unsere Liebe, daß wir nicht vor dem Trümmerfeld dieser Tage zagend stehn, daß wir zupacken, um daraus mitzubauen am ragenden Dome seiner Schöpfung.

Allerdings, wir müssen zunächst selber ein Gespür für die Wertungen Gottes bekommen, müssen unser Christentum 100 proz. Ernst nehmen. Und dazu gehoert doch, daß eben Niederlage und Zusammenbruch für Christus die Wege zu Sieg und Erfolg sind.

„Meine Kraft soll sich gerade in der Schwäche offenbaren“

So hat er es dem hl. Paulus entgegengerufen.

Christus liefert sich bewusst und freiwillig allen Gewalten dieser Welt aus allem Hass, allen aufgespeicherten Leidenschaften, allem brutalen Vernichtungswillen, alle wilden Kampfansagen, die ihm nicht dienen wollen. Und das alles wird nun Wagen und Wollen die ihn emportragen, unübersehbar auf alle Höhen der Welt. Denn ein Königtum, das alle diese Erschütterungen mühelos durchschreitet, das allen Vernichtungswillen mit einer Handbewegung unwirksam macht, das alle herangeführten Riesenarmeen mit einem Lächeln entwaffnet, das ist nicht von dieser Welt, das offenbart sich gerade darin als das Werk Gottes. Von dieser Tatsache aber können wir für unsere Zeit die Gewissheit mitnehmen daß Christus wirklich wieder einmal dabei ist, seine gewaltigen Siege zu erringen. Uns selber aber soll von da alles christliche Selbstbewusstsein kommen, ein unerschütterlicher Mut, ein heroischer Stolz und eine schrankenlose Siegeßuversicht. Unsere Zeit sucht in uns Christen gerade solche Haltungen. Sucht sie in Euch immer mehr wahr zu machen!

Wieder haben zwei aus unserer Runde ihren Advent vollendet. Otto Haas, der so lange schon krank war und wohl einer der Tapfersten unter uns war im Kampf mit dem tückigsten Feinde: einer schweren Krankheit, starb am 27.10.43.

„Je mehr der Stahl geglutet, je besser ist das Schwert!
Je mehr ein Herz geblutet, je grösser ist sein Wert!“

Den anderen, Herbert Engel, haben vielleicht nur wenige von Euch gekannt; er war der Besten einer. Am 1.10.! musste er bei Kiew sein Leben lassen.

Wir schreiten miteinander durch den Advent unseres eigenen Lebens, den Advent unseres Volkes –

Der Herr ist nahe! Freuet Euch!

         Jochen