Werner Niederwipper an Kaplan Stiesch, 25. Dezember 1943
Wesel 25.12.43.
Grüß Gott
Heute am ersten Weihnachtstage will ich Ihnen lieber Herr Kaplan meinen ersten Soldatenbrief, auf den ich Sie so lange habe warten lassen, endlich schreiben. Wir befinden uns hier in Wesel bei einem Lehrgang in dem wir die ganze Ausbildung, die wir in Elsenborn genossen hatten noch einmal wiederholen.
Bei der Ausbildung in Elsenborn hatte ich ein paar gute Kameraden gefunden mit denen man sich schon
mal aussprechen konnte, aber hier in Wesel bin ich so ziemlich allein auf weiter Flur. Ich habe auch hier Kameraden, die, wenn es draufan käme das letzte Stück Brot mit mir teilten, aber über tiefere Dinge kann ich mit keinem sprechen. Das macht das Leben hier auf die Dauer schwer zumal dann, wenn man von der Schule und anderen freiwilligen Arbeitskreisen her an solche Ansprachen gewöhnt ist. Ich muß Ihnen nun sagen, dass ich ges-tern am Heiligen Abend nicht die Kraft hatte ohne fremde Hilfe und ohne ein gutes Buch, das mir sonst schon oft in solchen Stunden geholfen
hatte, ganz aus mir Weihnachten zu feiern. Das erste mal auf mich gestellt habe ich elend versagt. Ich habe gestern abend meine ganze Schnapszuteilung getrunken und dann „mit den Wölfen geheult“. Eins habe ich mir heute aber vorgenommen: so was passiert mir nicht mehr. Ich werde von jetzt an auch in Kleinigkeiten auf mich aufpassen und mich gelegentlich hinter die Ohren hauen. Ich bin bei religiösen Feiern und Glaubensstunden schon oft so begeistert gewesen, dass ich mich jeden Augenblick für mein Bekenntnis hätte „zum Handkoffer schlagen lassen“, aber ob man sich
im kleinen und auf die Dauer bewährt das ist die Frage. Man täuscht sich nie leichter über seinen wirklichen Wert als in Augenblicken der höchsten Begeisterung. Ich habe gemerkt, dass Religion keine Stimmungssache ist.
Nun hoffe ich, dass Sie mir bald einen Brief mit väterlichen Ermahnungen und Ratschlägen schicken, damit meine guten Vorsätze nicht wieder zu Bruch gehen.
Einen herzlichen Weihnachtsgruß
Werner
P.S. der Brief geht außer Ihnen keinen was an.