Kaplan Stiesch an Jochen Soddemann, 29. März 1944

Rudolf Stiesch Köln Bickendorf Schlehdornweg 1

29. März 1944

Lieber Jochen!

Zunächst einmal herzlichen Dank für alle Deine Arbeit. Dieser Tage kam der Rossbub von Dörfler an und meine Mutter hat ihn bereits mit grossem Interesse gelesen. Sie hat mir eben den sachlichen Inhalt erzählt. Scheint ja recht dramatisch zu sein und wird die Jungen sicher fesseln. Vorige Woche war ich in Bonn in Exercitien und zwar im Leoninum. Es waren recht schöne Tage. Ein Dominikaner von Walberberg hielt die Vorträge namens Welty. Er sprach ganz menschlich, einigermassen auch aus der Seelsorgspraxis heraus, die er im Lazarett gewonnen hat im Umgang mit den Verwundeten. Helmuth will ja zur Justiz, wie ich gestern abend zu meinem Staunen hörte. Er will nicht zur Lehrerbildungsanstalt. An seiner Stelle hätte ich mich allerdings um das Abitur bemüht und dann auch Jura studiert. Schade. Nun ist ja für die Jungen das Schulstudium zur Zeit in der Tat nicht verlockend, wo sie doch mit sofortiger Einziehung zur Flak rechnen müssen.

Was die damaligen Schwierigkeiten Helmuths angeht, so scheinen mir diese schon wieder verklungen zu sein. Es ist aber gut, dass wir beide zu dem gleichen Resultat kamen, ohne uns zu besprechen. So sahen Helmuth und Pitter Hundenborn sich einem unwiderleglichen consensus patrum gegenüber; hätten wir uns abgesprochen, so hätten sie sicher eine gegen sie gerichtete Verschwörung unsererseits vermutet.

Eine Reihe von Soldaten war in Urlaub: Hans Kreuser, Karl Michael Fritz, Karl Heinz Deussen, Rudi Conin, Michel Reinartz. Vorgestern Nacht ½ 3 musste Hans Kreuser wieder weg nach Frankreich. Seine Schwester Johanna, Karl Heinz Hodes und ich brachten ihn zur Bahn. Es ist das ein eigenartiges Gefühl, durch das zerstörte

Köln bei Nacht zu gehen. Und welches Leben am Bahnhof! Der Wartesaal so überfüllt, dass an einen Sitzplatz nicht zu denken war. Man staunt über die durch den Krieg entbundenen Energien.

Der Kilometerstein scheint endgültig verloren zu sein. Schade genug, ich hätte mich sehr über das Büchlein gefreut. Wenn es noch mal zufällig aufzutreiben sein sollte, kaufe es bitte!

Letzten Sonntag war hier in Michael ein[e] Gedenkstunde für die Gefallenen, genau so, wie die seinerzeit in Michael. Ich war mit Rudi Conin, Pitter und Fr Karl Werner da. Eine imponierende Tumba war aufgebaut worden in grossen Masstäben. Die grosse Kirche war erfreulich gut besucht. Schade, dass die Orgel dort so miserabel ist.

Nächsten Sonntag wird in Bruder Konrad die Math Passion von Schütz aufgeführt durch den Bachverein. Ich bin mal gespannt. Der Leiter des Bachvereines Hulverscheidt muss morgen zum Militär und so muss K H Hodes die Leitung übernehmen. – Hoffentlich kommt die Bachsche Passion am Radio! Und hoffentlich kannst Du auch grade mithören. Ein Mühlheimer Soldat, Organist, erzählte mir, er habe voriges Jahr grade begonne[n] die Passion am Radio mitzuhören, als er plötzlich zu irgend einem Dienst abkommandiert wurde. Er habe sich die Tränen der Enttäuschung kaum verbeissen können. So kann es einem gehen!

Mein Bruder ist bei Witebsk. Er schrieb, dass die jüngeren Jahrgänge der Kapläne jetzt aus dem Sanitätsdienst gezogen würden und zur Infanterie kämen. In den letzten Tagen schrieben mir W Vianden, H O Mundorf Hans Bayart Peter Pehl Hans Meiers Josef Müller und Herr Meurer. Ich habe noch einen Berg Arbeit vor mir. Wenn ich nicht so pünktlich schreibe, dann liegt dem nicht Intesselosigkeit zu Grunde sondern einfach physische Unmöglichkeit! Grolle mir also nicht.

     In steter Herzlichkeit