Jochen Soddemann an Rudolf Stiesch, 2. Mai 1944
Am 2. Mai 1944.
Grüß Gott, Rudolf!
Lange hatte ich auf einen Gruß von Dir gewartet, nun sagst Du ihn mir in den Tagen, da das Grauen des letzten Angriffs Dir wie allen Daheim noch in den Knochen steckt. Laß mich Dir ehrlich sagen, was ich dabei empfunden habe und wie ich dazu denke.
Meine lb. Mutter schreibt mir fast täglich von der großen Not, von all dem Leid, der Unrast, dem dauernden Gehetz- und Gejagtsein. Ganz kann ich mich nicht hineindenken, aber zu verstehen suche ich immer wieder und hoffe, daß es mir gelingt.
Im letzten Urlaub saß ich lange mit Kapl. Angenendt zusammen und wir sprachen von diesen Dingen: In den Trümmern geht eine bürgerliche Welt – dies Wort nicht nur in einem verächtlichen, sondern auch einem guten Sinn, zu Grunde, wird rettungs- und hoffnungslos zerschlagen. Mit dieser Welt aber auch das Christentum, - es ist noch unser
aller Christentum, - des Bürgers.
An seine Stelle aber tritt nicht – darf nicht treten Resignation und müder Verzicht, ja eine gewisse Verzweiflung die ich auch aus Deinem Brief zu spüren glaube.
Gestern kam ein Gruß von Helmut, aus der gleichen Situation wie der Deinen geschrieben. H. schreibt: „Ich glaube, jetzt ist die rechte Zeit zu einem Neubeginnen zu einem großen Aufbau. Wir werden darüber sprechen, wie wir es beginnen…. Merkst Du nicht, daß die Tage sehr wichtig für uns sind? Hilf uns beten, daß der Herr uns Kraft und klare Sicht gebe…“
Gewiss, aus H. Worten spricht ein groß Teil jugendlichen Überschwanges, der die Not der Zeit im tiefsten vielleicht doch nicht ganz erfährt. Dennoch! Das ist unsere Sprache, Reinhold Schneider hat es uns in allen seinen Versen der letzten Jahre gesagt:
„Es lebt der Mauern tief geheime Macht vom heilgen Dienst der glühend darin wacht…
Und nur die Beter werden Tempel bauen!“
Wenn die Kerle kein Heim mehr haben, dann muß die Küche auch des Ärmsten unter ihnen zum Heim werden, in dem wirklich alle Da-heim sind. Über alle Schwierigkeiten hinweg, auch die größeren, müssen wir am Werk bleiben: Jugend unseres Volkes zum Herrn zu führen, jeder an seinem Platz. Da gibt es kein „keine Zeit und Lust für anderes“!
Rudolf, ich bitte Dich, versteh, daß meine Zeilen aus einer ehrlichen, ganz tiefen Sorge geboren sind, Du darfst mir
darum nichts übelnehmen. Ich konnte nicht schweigen.
Dir und den Kerlen gilt mein Bitten um Kraft, seine Kraft, die alles überwindet, auch die größte Not.
„Denn das ist der Sieg, der die Welt überwindet, unser Glaube!“
Dein Jochen
In den nächsten Tagen sende ich den Kameraden den Gruß zum Ostertage, leider verspätet, doch nicht zu spät.
Denn Ostern ist des Christen ganzes Leben auf dem Wege zu IHM.
Jochen