Kaplan Stiesch an Jochen Soddemann, 20. Mai 1944
Rudolf Stiesch Köln Bickendorf Schlehdornweg 1
20 Mai 1944
Jochen!
Für Deine beiden letzten Briefe danke ich von Herzen, kann mich allerdings doch nicht ganz zu dem Gesagten bekennen. Gewiss klingt eine solche Formulierung, wie die dass die bürgerliche Welt zerschlagen werde, recht geistreich und mag auch etwas Wahres an sich haben. Was mich bedrückt sind aber viel handgreiflichere Dinge, zB die Tatsache, dass man anstatt zu studieren und sich anderen wichtigen Aufgaben zu widmen, nun Fensterscheiben einsetzen muss, Schrauben kaufen und 1000 andere unproduktive Dinge tut. Dass die Kinder und Jungen auch kaum noch zu den Seelsorgstunden und Heimabenden kommen weil sie „im Einsatz sind“, weil sie geistig und realiter derartig mit anderm beschäftigt sind, dass ihnen gar keine Zeit bleibt für die Pfarre. Ich merke nichts von „dem Neubeginn und dem Aufbau“ sondern nur von einem Zergehen aller Werte.
In der KZ stand dieser Tage ein Leitaufsatz eines SS Kriegsberichters E W Möller, der meiner Meinung nach den Nagel auf den Kopf trifft: Es heisst da „Der Krieg kann kaum viel älter werden wenn er nicht innerlich so erstarren und vergreisen will, wie er es äusserlich in vielen Punkten schon ist“. Und das ist es was mich bedrückt. Man kann fertig werden nur mit einer religiösen Anschauung der Dinge, dass etwa Gott uns läutern will, dass er die Nichtigkeit der irdischen Dinge zeigen will gemessen an den himmlischen u. ä. Aber sonst sehe ich nur Zerstörung eben nicht fragwürdiger Kulturen sondern auch fraglos würdiger Güter. Und ich sehe gar nichts was etwa an Stelle der alten Ordnungen treten könne, die keineswegs alle schon ausgelebt und überholt sind. Ich erwarte keineswegs alles Heil von dem Neubeginn auf den verschiedensten Gebieten, sondern glaube eher dass es unsere Aufgabe ist wie die des hl. Benedikt, der von der untergehenden römischen Kultur das rettete was er retten konnte und
es kommenden Geschlechtern weitergab.
Das ist eso ungefähr das was ich zur Gegenwart empfinde.
Das[s] Kaplan Klein verunglückt ist, hast Du ja gewiss von zu Hause gehört. Gestern war die Beerdigung. Es waren viele Confratres dabei. Deine Mutter sah ich übrigens auch zufällig. Er ist der erste Priester aus der Dreikönigenpfarre der abberufen worden ist. Wer hätte daran gedacht! Auf seinem Totenzettel steht ein schönes von ihm verfasstes Gebet. Ich hoffe noch einige Exemplare zu bekommen.
Wie viel Rundbriefe hast Du bis jetzt eigentlich schon heraus geschickt? Das ist ja eine ganz stattliche Zahl! Ob man sie nicht numerieren sollte?
Das Thema vom Gebet im Dienst ist sicher recht gut. Wenn Du willst kann ich Dir die eine oder andre Bemerkung darüber aus Soldatenbriefen zusammenstellen.
Herzlichst