Jochen Soddemann an Rudolf Stiesch, 7. Juni 1944

Am 7. Juni 1944

Grüß Dich Gott, lb. Rudolf!

Gleich am Abend des Tages, an dem ich Deinen lb. Gruß erhielt, will ich Dir meinen Dank und meine Antwort sagen.

Unser Gespräch ging um die Sinndeutung unserer Zeit. Ich glaube, Reinhold Schneider ist einer der Wenigen, die uns ganz klar das Bild des Kommenden gezeichnet haben. Kennst Du seine Sonette, die in dem Büchlein: „Jetzt ist des Heiligen Zeit“ zusammengefasst sind?

Nun habe ich heute eine Bitte: Der Dienst lässt mir im Augenblick viel Zeit zum Arbeiten. Von Pfr. Betz aus Amsterdam haben wir uns einige Bücher besorgt und nun wird eifrig gearbeitet. Im Augenblick lese ich von Hengstenberg: „Das Band zwischen Gott und Schöpfung“. Das Buch ist ziemlich schwer zu lesen und lässt manche Frage offen, zu

der unsere mangelhafte philosophische und theologische Bildung nicht ausreicht.

So finden wir in diesem Buch immer wieder den Begriff der Analogie, über den ich nicht ganz klar sehe. Es ist da der Unterschied zwischen analogia proportionis und analogia proportionalis gemacht. Würdest du mir vielleicht einmal ein wenig mehr dazu schreiben können, Du hast doch gewiss die geeigneten Unterlagen dazu?

Der Beginn der Kämpfe im Westen lässt auch uns hoffen, daß sie bald den Einsatz auch in unserem Bereich bringen. Damit würde dann endlich der ewige Kasernenbetrieb aufhören.

Daheim jagt jetzt gewiss ein Gerücht das andere, ich bin nur froh, daß Ihr jetzt wenigstens am Tage ein wenig Ruhe habt.

   Hab guten Gruß

     Dein Jochen.