H. Beissel an Kaplan Stiesch, 11. Juni 1944
Aachen, den 11.6.44
Sehr geehrter Herr Kaplan!
Endlich mal eine Nachricht, werden Sie denken. Nun vergessen habe ich Sie nicht. Oft genug erinnere ich mich der Heimabende, an denen ich zwar wenig teilgenommen, aber die ich leider für unbestimmte Zeit nie mehr besuchen kann. Wie es mir als Rekrut gefällt, werden Sie sich fragen. Zwei Monate bin ich Soldat, eine lange, harte Zeit. Manchmal war ich schier der Verzweiflung nahe, da ich körperlich dem Dienst doch nicht ganz gewachsen bin. In solchen Augenblicken half mir ein Gebet und Vertrauen auf unseren gerechten Herrgott. Ich muß gestehen, dass man auf mich
bestimmt Rücksicht nimmt. Wie Sie aus meiner Anschrift ersehen, bin ich in einer Infanterie-Nachrichten-Kompanie, und zwar als Fernsprecher. Funker hätte ich aber auch werden können. Da ich nun einmal hierzu nicht geeignet war wurde ich als Fernsprecher eingeteilt. Unser Dienst besteht aus Leitungsbau u. der infanter. Ausbildung. Bis heute haben wir hier schon 4 Angriffe gehabt, von denen die beiden letzten die schrecklichsten waren. In der Nähe kamen ebenfalls viele Bomben nieder. Aber ein gnädiger Gott bewahrte uns vor einem grausigen Tod. Die lange Wartezeit auf die Invasion ist vorbei. Wie das Kriegsgeschehen sich entwickelt müssen wir mal abwarten. Hoffentlich erleben wir einen günstigen Ausgang. Mit den Kirchenbesuchen ist es mies.
Bis heute konnte ich nur 3 hl. Messen besuchen. Dies ist wirklich traurig. Wenn ich dann wieder eine Messe besuchen kann, verspüre ich wie diese für mich wertvoll ist. Heute war es so: 9-10 Uhr Stuben-Reinigen, 10.30-11.30 Uhr Waffenreinigen, 12 Uhr Essen, 12.45 Uhr Waffen-Appell. So hatte ich natürlich keine Gelegenheit in eine Messe zu kommen. Zu bemerken ist, dass heute um 7.30 Uhr wecken war u. der „Sonntagsdienst“ Schikane war. Als freudiges Ereignis für heute, war, dass mein Vater mich besuchte. Man kann sich mündlich doch besser aussprechen, als durch Briefe. Zu Hause haben es die Eltern schwer und sind einsam, da meine Schwester ebenfalls fern der Heimat weilt.
Über die Verpflegung ist nur lobenswertes zu berichten.
Bis vor kurzem hatten wir hier noch eine friedensmäßige Verpflegung. Heute Mittag gab es Nudel-Boullion-Suppe, grüne Bohnen, Fleisch, Kartoffeln, Tunke u. Grießpudding. Da ein Kamerad Ausgang hatte, wurde mir die Eßmarke gegeben u. ich konnte mich bauchsatt essen. Das verdankte ich unserem mehr als guten Hilfsausbilder (Ostfrontkämpfer), der weiß was ich so vertragen kann. Bestimmt esse ich hier mehr als zu Hause. Der Grund liegt eben in den körperlichen Anforderungen, welche nun an mich herantreten.
Ich wünsche Ihnen alles Gute, hoffe dass Sie sich gesundheitlich wohl befinden und verbleibe Ihr
H. Beissel