Jochen Soddemann an Rudolf Stiesch, 27. Juli 1944
Am 27. Juli 1944.
Lieber Rudolf!
Nimm in Deine Ferientage, wo Dich mein Brief hoffentlich noch erreicht, meinen herzlichen Gruß und den Wunsch, das diese Tage Dir reichlich all das geschenkt haben, was Du von ihnen erhofft hast: Entspannung an Leib und Seele, Ruhe nach der Unruhe einer Großstadt im Luftkriege.
Auch mein Schwesterlein Gisela ist in der vergangenen Woche für die wenigen Tage ihrer Ferien nach Kreuznach abgedampft, habe aber noch nichts von ihr gehört. Ich nehme das als Zeichen, daß es ihr recht gut geht. Ob’s ihr nicht leid ist um die ausgefallenen Lateinstunden?
Mutter schreibt mir heute, daß Werner Wulf im italienischen Kriegsgebiet gefallen ist, Hans Klein soll im Osten vermisst sein, doch darüber wusste sie noch nichts Sicheres.
Dein Gedanke, den Du beim Besuch bei Kapl. Berghs gefasst hast, ist recht fein, und ich freue mich schon jetzt darauf, beim nächsten Urlaub die ersten Blätter der Chronik in Händen zu halten und mich an manche feine Stunde zu erinnern, bei der ich
dabei sein durfte oder von der Ihr mir berichtet habt. Die neuen Maßnahmen werden wohl auch in der Arbeit Daheim neue Einschränkungen bringen. Und dennoch: Wir dürfen nicht nachlassen: Das Wissen, daß unser Volk nur dann groß ist, wenn es dem Herrn ganz angehört, ist uns höchste Verpflichtung.
Am 30. Juli feiert Willi Hörscher – er war noch mit mir zusammen Messdiener – in Horrem seine Primiz. Ich sandte ihm heute einen Gruß, zugleich auch von allen Kameraden der Pfarre, die im Dienst stehen. Willi wurde durch eine Verwundung dienstuntauglich und erhielt so die Möglichkeit, sein Studium zu beenden.
Hoffentlich ist Dein Bruder wenigstens selbst heil aus dem Raum von Witebsk herausgekommen, dann wird er jetzt wohl irgendwo im nordöstlichen Polen oder in Ostpreußen liegen. Ich habe seit einigen Wochen das große Glück, daß der Priesterkamerad, mit dem ich in Utrecht zusammen war, nach hierhin versetzt ist, so daß ich an einigen Abenden der Woche mit ihm das Heilige Opfer feiern kann. Das gibt dem ganzen Dienst mehr Richtung und Ziel.
Und nun hab herzlichen Gruß und noch einmal viel Freude und gute Erholung
Dein Freund Jochen.