Jochen Soddemann an Rudolf Stiesch, 2. September 1944
Am Samstagabend, dem 2. September 1944.
Lieber Rudolf!
Meinen Brief muß ich mit einer Entschuldigung beginnen. Wie lange habe ich Dir nun schon nicht mehr geschrieben? Und zum zweiten: Mein Füllhalter ist in Reparatur, schreibe Dir diesmal drum mit Bleistift.
Wie steht’s um die Arbeit zu Hause? Die neuen Maßnahmen werden auch wieder viel Hindernis sein. Und dennoch. Wir müssen die Gemeinschaft der Jugend weiterzutragen versuchen, so gut es geht, und mit aller Kraft, die wir dafür nur opfern können. Ich glaube schon, daß es uns gelungen ist, auch wenn nicht viel darüber gesagt und geschrieben wird, eine gewisse Bindung untereinander zu erzielen. Aus dem kleinen Kreis, in dem wir nun seit Januar, in der Hl. Schrift lesen, wird ganz sicherlich einmal eine lebendige Arbeit wachsen. Ich habe dieser Tage die ersten Briefe aus den Ostertagen übrigens, die die ganze Runde gemacht hatten, Herrn Pastor einmal zugesandt, damit er um unsere Arbeit weiß und sich ein wenig darüber freuen kann. Hat er nichts gesagt?
Ist Dir ein Philosoph unserer Zeit mit Namen: Emil Utitz bekannt? Ich fand unlängst ein Buch von ihm: „Die Sendung der Philosophie uns unserer Zeit.“ Das große Thema dieses
Buches brachte er in einer der Hauptreden auf einem internationalen Kongress für Philosophie 1934 in Prag zur Sprache. Selten habe ich in philosophischen Werken eine solche klare und dabei gleichzeitig sprachlich wirklich vorzügliche Form gefunden. Trotz seiner guten und tiefen Gedanken, ist das Buch freilich leicht zu verstehen, sodaß sogar meine beiden Stubenkameraden – sonst philos. „unbelastet“ – ihre helle Freude daran hatten. –
Gisela schreibt in jedem Brief vom Latein und ihren Fortschritten. Mittlerweile bin ich in Deine Fußstapfen getreten und gebe einem jüngeren Kameraden, stud. theol in spe, Unterricht im Griechischen. Er war auf einer Realschule und muß das Graecum nachholen.
Der 5. Rundbrief ist im Druck.
So geht alles weiter – wann wird unsere Zeit eine Wende nehmen?
Dir und allen Jungen herzlich Heil
Dein Jochen.
Anbei ein Aufsatz über den flämischen Priesterdichter Verschaeve aus der „Deutschen Zeitung in den Niederlanden.“