Josef Müller an Kaplan Stiesch, 21. September 1944
Wien, den 21.9.1944
Sehr geehrter Herr Kaplan!
Ihren Brief vom 1. Sept. mit dem Totenzettel von Dieter Sauret habe ich mit vielem Dank erhalten und bin so wieder über die neuesten Ereignisse im Leben der Pfarre unterrichtet. Ja, man kann schon sagen, nichts bleibt vom Kriege unberührt. Die Zahl der Messdiener wird wohl jetzt auch aussergewöhnlich klein sein, wo alle Jungen zum Westen mussten. Mein Vater schrieb mir voller Stolz und Freude, daß er an einem der letzten Sonntage die Frühmesse gedient habe, weil kein Messdiener da gewesen wäre. Es war für ihn bestimmt ein Erlebnis, und er will mich unbedingt ehrenvoll vertreten haben. –
Und eine interessante Neuigkeit hab ich noch: Wir haben in unserer Batterie ein tadelloses Klaviertrio aufgestellt, in dem ich mitmache. Klavier- und Cellospieler sind Berufsmusiker, ich muss mich also gewaltig anstrengen. Ein tadelloses Trio von Haydn haben wir schon eingeübt, und ich mit dem Pianisten eine Sonate von Schubert. Unser Chef ist sehr musikbegeistert und fördert diese Einrichtung, wo er nur kann; und wir haben eine äusserst angenehme Abwechslung in dem erbärmlichen und eintönigen Rekrutendasein. –
Um unsere Heimatstadt machen wir Kölner uns ja grosse Sorgen. Aber Gott wird wohl alles zum Besten wenden. In dieser Hoffnung grüsse ich Sie herzlichst Ihr
Josef