Jochen Soddemann an Rudolf Stiesch, 12. November 1944
Halle, am Sonntag, dem 12.11.44.
+Rudolf!
Seit Monaten hat der Krieg durch seine Zuspitzung und äußerste Härte, in die er getreten, unsere Arbeit zerschlagen. Woche um Woche hatte ich gehofft, wenigstens den letzten vorgesehenen Brief noch den Kameraden in die Hände geben zu können. Oft habe ich mich auch in Amsterdam fernmündlich darum bemüht, da musste ich eines Tages erfahren, dass das Konzept verlorengegangen war. Die Unterlagen hatte ich wegen der auch in unserem dortigen Raum immer schwieriger werdenden Wege nach Hause geschickt. Zum Versuch, einen neuen Brief aufzusetzen, bin ich überhaupt nicht mehr gekommen: Ganz plötzlich erreichte uns am 1. d.M. das Kommando hier nach Halle zur Kriegsschule. Und nicht einmal die Gelegenheit nach Hause zu fahren gab man uns. So blieb nur die Sorge um die Lieben Daheim, hatte ich doch erfahren, daß gerade die letzten Angriffe die schwersten waren. Ein glücklicher Zufall nahm mir diese Sorge: In der Eisenbahn von Hagen nach Halberstadt traf ich das Mädel von Stats auf der Venloerstr./Ecke Akazienweg. Sie fuhr hier in die Gegend von Halle
zu ihrer Mutter, die dorthin zusammen mit Frau Conin zu Bekannten evakuiert ist. Von dem Mädel erfuhr ich, daß auch bei den letzten Angriffen in unserem Viertel alles gut gegangen ist; erfuhr aber auch von dem Tod der Mutter und Schwester von unserem Willy Fröhing. Wo steckt der Kerl jetzt eigentlich? Auch von allen Anderen habe ich lange, sehr sehr lange nichts mehr gehört. Dir wird es wohl ähnlich gehen. Was macht Helmut S.?
Der Lehrgang – bis zum 13. 1. f. Jahres soll er dauern – wird eine harte Zeit für mich werden, weniger an äußerlichen Strapazen als an innerer Belastung. Heute weiß ich, daß es damals ein Wagnis von mir war, Offizier, zumal in unserer Truppe, werden zu wollen. Nun will alles durchgehalten sein im Klarheit und Eindeutigkeit. Ich bitte Dich dabei um Deine Hilfe.
Und nun Dir und allen Jungen einen frohen Gruß und Heil vom Herrn in aller Not
Dein Jochen.