Kaplan Stiesch an Heinz Peter Orth, 19. November 1944
19 Nov 1944
Lieber Heinz Peter!
Dieser Tage erhielt ich Deinen Brief vom 15.10., der also einen Monat gelaufen ist. Du schreibst da von einem anderen Brief, der noch nicht hier ist. Die Postverhältnisse sind ja sehr unsicher. Mein Bruder ist auch wieder auf dem Weg zum Osten. Von Wahn aus, wo wir ihn mehrmals besuchen konnten ging es über Hamm weiter nach Guben und von dort wieder weiter, wohin wissen wir noch nicht. Hier in Köln ist es allmählich auch nicht mehr gemütlich. Es ist eine Gnade, daß unser Haus fast noch unbeschädigt ist. Wenn man manche Viertel sieht, kann man es kaum fassen, daß es hier noch
so verhälltnismässig gut gegangen hat: Allerdings kein Gas, kein Wasser, meist kein Strom, keine Zeitung, keine Müllabfuhr usw. Du kannst Dir vorstellen, wie sich das in der Stadt auswirkt.
Im übrigen können wir nicht klagen. Anderen hat es viel schlimmer ergangen als uns.
Dann hätte ich noch den Vorschlag zu machen, daß Du mich auch singularisch anredest. Ich kann ja nicht ewig in Anspruch nehmen Dich so anzureden, weil Du einige Jahre später als ich geboren bist ohne Dir diesen Vorschlag zu machen und hoffe, daß Du damit einverstanden bist. Es [ist] ja doch auch vertrauter als das steife „Sie“.
Nach Düsseldorf komme ich kaum noch einmal hin. Die Strecke ist oft unterbrochen. Auch zur Zeit kann man nur umständlich nach Mühlheim fahren und von dort nach D dorf pendeln. Ich höre, daß vor ein paar Tagen schon wieder allerhand zerstört wäre.
Was muss es schön sein, wenn man alle Zerstörungen ein Ende haben und statt dessen ein Wiederaufbau beginnt. An Arbeit wird es ja nicht mangeln. Hoffentlich bleibt dieser Beginn nicht ewig aus.
Nun wünsche ich Dir alles Gute und vor allem, daß Du gesund wiederkommst!
In steter Herzlichkeit Dein