Heinz Peter Orth an Kaplan Stiesch, 7. Dezember 1944

Ostfront 7.12.44.

Lieber Herr Kaplan!

Vor einigen Tagen erhielt ich Ihren Brief vom 19.11.44, wofür ich recht herzlich danke. Ich habe nun etwas mit der Antwort gezögert, weil ich nicht genau weiß, wie die Verhältnisse zur Zeit in Köln sind und wie weit die Evakuierung bereits vollzogen ist. Aber trotzdem versuche ich hiermit, Sie doch noch über die alte Adresse zu erreichen. Zunächst freue ich mich sehr, daß Ihr Haus fast noch unbeschädigt ist und Sie somit immer noch ein Dach über dem Kopf haben; daß aber Gas, Wasser, Strom, Müllabfuhr, Zeitung usw. fehlt, muß sich ja ganz verheerend auswirken. Der Krieg ist mit all’ seinen furchtbaren Begleiterscheinungen über die Schwelle der unmittelbaren Heimat getreten. Es tut gerade uns hier draußen so weh, daß auch unsere Angehörigen dieses alles miterleben müssen. Mit unseren Gedanken sind wir immer daheim und so wünsche ich auch Ihnen und Ihren Angehörigen, daß sie alle Gefahren gut überstehen und der Krieg bald ein Ende hat. Diese Wünsche möchte ich dann auch verbinden mit den besten Grüßen zu Weihnachtsfest. Möge das Fest des Friedens auch Anklang finden in den Herzen der Völker und Wegbereiter sein für einen baldigen Frieden.

Von hier ist nichts Neues zu berichten. Bisher ist die Lage immer noch ruhig. Doch zehrt es etwas an den Nerven, die Ungewissheit des Zeitpunkts einer russischen Großoffensive unmittelbar vor sich zu haben. Vielleicht kommt er aber auch erst Weihnachten, wie er es im vorigen Jahr zum Beispiel in dem Frontabschnitt machte, wo meine Einheit eingesetzt war. – Aber es besteht auch die Möglichkeit, daß ich Weihnachten in Deutschland bin, wenn alles klappt. Seit Juli dieses Jahres bin ich ROB und soll nun demnächst zur Kriegsschule kommen.

Von Ihrem Vorschlag, Sie singularisch anzureden, war ich einerseits sehr überrascht und andererseits doch wieder hocherfreut darüber. Die Überraschung kam daher, daß mir dies von einer älteren Person, die außerdem einmal Vorgesetzter war, bisher noch nie angeboten worden ist. Daher ist das auch etwas schwierig für mich und wird jedenfalls einige Zeit dauern, bis ich mich da hineinfinde. Den Vorschlag nehme ich also dankbar an.

Nun wünsche ich „Dir“ also nochmals ein recht schönes Weihnachtsfest und verbleibe mit herzlichem Gruß

   Dein   Heinz Peter Orth