Gisbert Kranz an seinen Vater Gisbert, 19. Juli 1938
Essen-Steele, den 19. Juli 1938.
Lieber Vater!
Trotzdem ich mitten in den Vorbereitungen für meine Großfahrt nach Innsbruck und Salzburg stehe, will ich Dir doch noch etwas von Düsseldorf erzählen. –
Mittags waren wir im Freimaurermuseum. Der SS-Mann, der uns führte, behauptete, der ehem. Kardinalstaatssekretär Gasparri sei Freimaurer, getaufter Jude und Verbindungsmann zwischen Vatikan und Logen gewesen. Er zählte Politiker vor und nach dem Kriege auf, die Freimaurer waren (Bethmann-Hollweg, Rathenau, Eden, Blum). Männer, wie Friedrich der Große, Goethe, Lessing, Fichte, Körner und Math. Claudius, die Mitgl. von Logen waren, nannte er nicht. Er sprach auch von Prälat Kaas und anderen „Jesuitensöldnern“ und „Landesverrätern“. Die Kirche und die Gesellschaft Jesu habe ja dieselben Ziele, wie das Weltjudentum, der Bolschewismus und die Freimaurerei(!): Verbrüderung der Menschheit, Aufhebung aller Völker- und Staatengrenzen, Errichtung eines Weltreiches mit dem Papst an der Spitze. Schließlich stellte er die Behauptung auf, bei der Auflösung der Logen in Deutschland habe man unter dem beschlagnahmten Aktenmaterial Listen mit den Namen von 400 (vierhundert) höheren, katholischen deutschen Geistlichen, die Logenmitglieder waren, gefunden. – Es waren ungefähr 60 Leute, die diesem Vortrag zuhörten, darunter 4 Geistliche, von denen einer das EK. auf dem Schwarzen Rock trug. Einer der Priester rief nun laut: „Hören Sie, sind die Listen
veröffentlicht worden? Können Sie uns Namen nennen?“ „Nein, Namen kann ich Ihnen nicht nennen. Aber die Listen kann ich Ihnen nachher zeigen.“ „Namen nennen Sie nicht? Das ist aber merkwürdig!“ rief lachend der Geistliche. Uns kribbelte es in den Fingern, wie die Sache enden würde. – Nach der Führung entwickelte sich folgendes Zwiegespräch zwischen dem Priester und dem SS.-Mann. Der SS.-Mann antwortete auf die Frage nach den Listen: „Die Listen können Sie bei der Geheimen Staatspolizei oder bei der Regierung einsehen, wenn Sie sich dafür interessieren.“ „O ja, ich interessiere mich sehr dafür. Aber sagen Sie, in ihrem Vortrag war vorhin ein Widerspruch!“ „?“ „Ja, Sie sagten doch, die Freimaurerei sei gegen jedes Christentum eingestellt. (Zum Publikum:) Nicht wahr, das haben Sie doch alle gehört? Wie erklären Sie denn, daß die Kirche mit den Freimaurern gemeinsame Sache macht?“ Der SS.-Mann lief rot an und stotterte verlegen: „Ich kann Ihnen nur sagen, wenn Sie sich für diese Dinge interessieren, wenden Sie sich an die Gestapo! – Glauben Sie mir, ich habe schon tiefer da hineingeblickt.“ Da rief einer von uns: „Dann lassen Sie uns doch auch mal tief ’reingucken!“ Alles lachte, und Dr. Steinbrink nickte grinsend heftig mit dem Kopf. „Sie haben auch garnicht erwähnt, daß die Kirche vom Jahre 1738 an die Freimaurerei bekämpfte, daß sie ihr schärfster Feind ist und daß jeder, der einer Doge beitritt, exkommuniziert wird. Das sagen Sie aber nie!“ „Waren Sie denn schon einmal hier?“ „Nein, das hörten wir von andern, denen das auch
ist.“ „Na ja,“ meinte der SS.-Mann verlegen, „dann will ich es nächstens hinzufügen.“ – Draußen wechselten Steinbrink und der Pastor die Adressen. Wir fragten St. vorgestern, warum er das getan hätte, ob er über die Nachforschungen des Geistlichen bei der Gestapo Näheres erfahren wollte. „Nein“, sagte er, „Ich habe einen Bekannten, der eine veröffentlichte Liste mit den Namen von 40 Geistlichen, die Freimaurer waren, hat. Diese Liste wollte ich dem geistl. Herrn zuschicken. Es hat sich aber mittlerweile herausgestellt, daß diese Liste wohl auf einen kleinen Irrtum beruhen muß!“ So sagte grinsend Steinbrink. Er fuhr fort: „Au, da muß ich Ihnen noch einen Witz erzählen, der wirklich passiert ist. Bei einer Führung im Logenmuseum ruft mitten in die andachtsvolle Stille während einer Kunstpause des Redners eine Frau, auf eins der vielen Ölgemälde von Hochgradfreimaurern deutend: „Och, guck mal, Gustav, da hängst Du ja!“ – Ein Junge aus meiner Klasse sagte mir, er habe einen Onkel bei der Gestapo, der diese Dinge kennt. Der meinte, was uns der SS.-Mann in Düsseldorf erzählt hat, sei nicht wahr! – Wir fragten auch unsern neuen Religionslehrer (einen Mann mit erstaunlichem Wissen und gutem Redetalent), was er zu den oben erzählten Dingen sage. Er sprach ausführlich (aus dem Stegreif!) über Entstehung und Anfänge der Freimaurerei. Anfangs seien viele bedeutende Männer, die wirkliche Patrioten, wie Friedrich d. Gr. und Körner, Männer, die wirklich religiös waren, wie Herder und Claudius (Theologe), Mitglieder von Logen gewesen. Es könnte auch sein, daß Bischöfe Freimaurer waren, aber nur im Anfang. Im vorigen Jahrhundert
und vor allem vor dem Kriege und in der Jetztzeit sei so etwas unmöglich. Auf meine Frage bezügl. Gasparri antwortete er, der Kardinalstaatssekretär sei kein Jude und kein Freimaurer. Das sei ebenso ein Märchen, wie die Behauptung, Pius XI. sei das uneheliche Kind einer Jüdin X., die mit Wilson verwandt sei; so ergäben sich Zusammenhänge zwischen Pius und dem Diktat von Versailles. Dieses Märchen stand 1933 in vielen deutschen Zeitungen und Zeitschriften. Man hatte es aus einem amerikanischen Judenblatt (!) her. Die Quelle hat man natürlich verschwiegen. Diese Zeitungen seien auf das große Aufsehen hin, das dieser Artikel im Ausland hervorrief, von der Gestapo beschlagnahmt und für einige Monate verboten worden. Der Heilige Vater könne seine Abstammung lückenlos bis ins 15. Jahrhundert nachweisen. Er stammt von einer Seidenspinnerfamilie aus der Nähe von Mailand. – Das sei, so sagte unser Religionslehrer, eine der Methoden, Männer, denen man politisch nicht begegnen kann, in ihrer Ehre herabzusetzen und so zu entwürdigen. –
Donnerstag ist unser Schulfest. Schad’, daß Du nicht dabei sein kannst. Die Obersekunda hat mit Dr. Steinbrink das Spiel „Blut und Liebe“ eingeübt, was ich ja auch schon einmal mitgespielt habe.
Nun viele Grüße und gute Erholung!
Gisbert