Gisbert Kranz an Freunde, 16. April 1939
Biesdorf (Eifel), den 16.IV.1939.
Meine lieben Freunde!
Aus der wildeinsamen Eifel, fern von aller Kultur und Zivilisation der Stadt, sende ich Euch allen einen frohen Gruß. – Nun bin ich bereits 14 Tage im Arbeitsdienst. Es ist Sonntagnachmittag, und draußen regnet es. Wir haben Dienstfrei, und ich benutze die Gelegenheit, Euch einiges von dem bisher Erlebten zu erzählen. Ich stelle mir vor, ich säße wieder, – wie einst so oft – in Eurem Kreise, um mich herum sehe ich Eure bekannten Gesichter, aus denen mutige und gläubige Augen mich anblicken: die beiden Willi, der Albert, Hans, Werner, Günter und Karlheinz. Rückt näher zusammen, meine lieben Freunde, und ich will Euch berichten von dem, was Ihr alle noch selbst erleben werdet. –
Es ist ein eigenartiges Gefühl, wenn man in eine ganz andersgeartete Umgebung kommt, in eine ganz andere Atmosphäre als die, in der man bisher lebte. Noch vor wenigen Wochen war man im Kreise der Familie, der Runde der Freunde, im Verbande der Schule. Man war mit Menschen zusammen, mit denen man engen Kontakt hatte, die meist ähnlich fühlten und dacht, wie man selbst. Nun wird man in eine Welt gestellt, in der man zuerst
ganz auf sich allein angewiesen ist. Ich bin der einzige aus unserer Klasse im Lager, auch der einzige Theologe. Keiner der 180 Arbeitsmänner war mir bisher bekannt. Man tut in diesem Falle am besten, zuerst eine Null zu spielen und zu beobachten, Augen und Ohren aufzuhalten. Die Leute, mit denen ich zusammen bin, sind durchweg zwei Jahre älter als ich; auf unserer Stube bin ich der Jüngste. Sie stehen schon lange im Leben, haben schon viel mehr mitgemacht als unsereins, kommen meist aus einem ganz anderen Milieu, um dies Fremdwort einmal zu gebrauchen. Als Abiturient steht man zunächst hilflos zwischen diesen Menschen. Dann sucht man Kontakt mit diesem und jenem, und man lernt manch einen Kameraden näher kennen. Man erlebt viel Freude, aber auch viel Enttäuschung; manche Jungen, die man zunächst für feine Kerle hielt, zeigen in dieser und jener Situation ihren Charakter. Man hat jedenfalls nach zwei, drei Tagen heraus, was mit den einzelnen los ist. – Auf unserem Trupp sind 12 Essener und 5 Mainzer. Die „Meenzer“ sind prächtige Kerle. – Das von den Menschen, mit denen ich zusammen bin. Die Führer sind meist in Ordnung. Wir haben einen prächtigen Obertruppführer. –
Das ist sozusagen die psychische Umwelt, in der ich mich befinde. Die physische – ich meine Biesdorf und – ist nicht berühmt. Es gibt
Dienst: Wehe, wenn irgendwo ein Stäubchen liegt. Der Zeigefinger des Tf. geht in die entlegensten Ecken. Aufgefallen bin ich bis jetzt noch nicht. Bloß im Bettenbau. Bald jeden Tag flog mein Bett wieder auseinander. Die Art, wie hier die Betten „gebaut“ werden, unterscheidet sich von der in Jugendherbergen und Napolagern sehr. Außerdem haben wir keine Matrazen, sondern Strohsäcke. Nun, ich bin nicht der einzige, der seine Falle nochmal machen muß, und mittlerweile hab ich es gelernt. – Ich sagte vorhin, ich sei noch keinmal aufgefallen nach der unangenehmen Seite hin. In einer Hinsicht bin ich gewaltig aufgefallen: Ostern schob ich als einziger des Lagers in Zivil zur Kirche (ich hatte mir vom Oberstfeldmeister, unserm Chef, Erlaubnis geholt), zum Erstaunen des ganzen Lagers. Mittlerweile wissen auch alle, daß ich Theologe bin. Das hat mir natürlich eine Flut von Sticheleien und „Lästerungen“ eingebracht, was mich aber kalt läßt, da ich in dieser Beziehung ein dickes Fell habe; zugleich aber habe ich einige prächtige Kerle kennengelernt, die sich bei Diskussionen auf meine Seite stellten und mit mir in nähere Berührung kamen. Man ist dann froh, wenn einige Gleichgesinnte (auch anderer Konfession) zueinander stehen und gegenseitigen halt haben. Das tut hier doppelt gut. –
Ich kann Euch jetzt im einzelnen nicht alles schreiben, was ich bis jetzt erlebte. Karlheinz kann Euch noch
dieses und jenes erzählen, was ich ihm schon geschrieben habe. –
Ich hoffe, daß Ihr Eure Ferien gut verbracht habt. Wer von Euch hat eine Fahrt gemacht? Schreibt mir mal darüber. Karlheinz hat mit Hans Ey. eine Fahrt gemacht, auf der er sicher manch Schönes erlebt hat, von dem er Euch berichten und mir einen langen Brief schreiben soll. – Für Willis Kartengruß aus Münster besten Dank! Hat er eine Fahrt dahin gemacht? Ich freue mich über jede Zeile, die Ihr mir zukommen laßt als Zeichen, daß Ihr an mich denkt. Ich hoffe, daß wir noch weiter eine Gemeinschaft bleiben, trotz der Entfernung, daß wir durch Briefwechsel weiter verbunden bleiben. Laßt die Gemeinschaft nicht auseinanderfallen, arbeitet weiter wie bisher. Schreibt mir von den Abenden, an denen Ihr zusammenkommt. Berichtet mir auch von der Schule (Die neusten „Taten“ des neuen Chef), ob neue Lehrer gekommen sind, wieviel Schüler von Essen aufgenommen wurden, usw.
Haltet also weiter zusammen. Vielleicht wird Euch diese Gemeinschaft Werte für’s Leben geben. Es ist gut heute, wenn die „pusillus grex“ eng zusammensteht. Das werdet Ihr auch später im AD und beim Kommiß spüren. – Ich hoffe, Euch Pfingsten wieder zu sehen.
Es grüßt Euch
in Ducis nostri caritate
Euer Gisbert