Gisbert Kranz an seine Familie, 12. September 1939

Biesdorf, den 12.IX.39.

Meine Lieben!

War das eine Freude! Gestern drei Pakete und den ausführlichen Brief von Mutter mit den Zeilen Vaters und Karlheinz’, und heute gleich zwei Briefe mit der Nachricht vom Besuch V. Tries! Viel tausend Dank, vor allem für Schokolade und Zigaretten! Ihr versteht, daß ich jetzt nicht auf alles im einzelnen eingehen kann. Wenn man müde, verdreckt und verschwitzt nach einem Marsch von 7 km von der Baustelle heimkommt, ist man froh, ein Brausebad nehmen zu können (eine Wohltat für den Körper!) und ordentlich zu trinken und zu essen. Um 7 Uhr liegt man meist zu Bett, wenn man nicht um ½ 8 noch die Nachrichten hören will. Auch eine mündliche Aussprache wird noch lange auf sich warten lassen, denn es ist jetzt ziemlich sicher, daß wir vorerst noch nicht entlassen werden. Die Gestellungsbefehle zum Militär sind sämtlich als ungültig erklärt und eingezogen worden. An Urlaub ist natürlich nicht zu denken. Doch denke ich, daß wir Ende Oktober entlassen werden; es könnte jedoch auch sein, daß wir noch länger bleiben. Dafür ist das Wiedersehen nachher umso froher u. herzlicher! Fiat voluntas tua, Domine.

Euch interessieren sicher noch meine Leistungen im zweiten Übungsschießen vor drei Wochen. Ich war von den 50 Mann auf dem Schießstand der beste Schütze. Ich hatte noch mehr Ringe als der Unterfeldmeister und Obertruppführer! Deo gratias! Die Bedingungen weit übertroffen! –

Als wir Samstag von der Baustelle kamen, stand an der Straße auf einmal der Arbeitsführer mit vielen Feldmeistern. Er begrüßte uns und sagte, die Offiziere der Wehrmacht hätten unsere Leistungen sehr gelobt. Die Anerkennung hierfür würde nicht ausbleiben. Sonntag sei Ruhetag! Und als wir abends kaum im Bett lagen, kam auf einmal die Nachricht, die Arbeitsgauleitung (Generalarbeitsführer) habe verfügt: Sonntag würde gearbeitet! Das ist nun schon der dritte Sonntag, an dem wir arbeiten! Nach 21 tägiger ununterbrochener Arbeit hätten wir bestimmt einen Ruhetag verdient. Doch Du, Mutter, sagst richtig: Jetzt darf kein Opfer gescheut werden! Und es wird auch noch einmal Sonntag in Deutschland. Und der Krieg und unsere RAD-Zeit gehen auch zu Ende!

Es grüßt Euch alle tausendmal recht herzlich Euer

Gisbert

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